"Silver Surfer" engagieren sich gegen Nazis
Internetforen werden für rechte Propaganda genutzt. "Silver Surfern" bietet sich hier im aktiven Einsatz für Demokratie eine wichtige Aufgabe.
17.12.2009
Von Katharina Weyandt

Da hatten sich über 360 Schülergruppen aus ganz Deutschland an einem Videowettbewerb für Toleranz beteiligt. Die Bundeskanzlerin war Schirmherrin, eine lange Liste Promis stand Pate. Auf YouTube wurden die Aufrufe und die Videos veröffentlicht. Und dort meldeten sich prompt Internetuser mit Namen wie SSoStandarte18 und volkszornost zu Wort.

"Schon wieder diese rechte Hetze", stellte Joachim Wolf von www.netz-gegen-nazis.de fest. Auch unbeholfene Fragen tauchten auf unter den hunderten von Kommentaren, etwa: "wer weiß den wie man kontackt mit einen politiker das wirklich viel einfluss auf die Gesteze,wirtschaft...e.t.c.? hat zu bekommen . Wer kennt schon die telefon nummern von denen oder die emails? Nur ihre Partei könnte man noch was zuschreiben das bestimmt eh kein einfluss haben wird :[. "

Hier müssten sich noch viel mehr Gegenstimmen einbringen", dachte Joachim Wolf. Auch alle Foren von Zeitungen und Rundfunksendern, wo aktuelle Themen diskutiert werden wie der Schweizer Minarett-Entscheid, würden von Rechten benutzt, bemängelt er-

Gegenstrategien geschult

Solche Beispiele weckten die Idee, bei den Älteren Verstärkung zu suchen. Sie könnten sich mit ihrer Lebenserfahrung einbringen, sachlich beruhigend einwirken, meinte Wolf. Das Projekt "Generation 50plus aktiv im Netz gegen Nazis" wurde ins Leben gerufen. Erster Baustein sind drei Workshops zu je zehn Teilnehmern. "Ältere Menschen aus Initiativen gegen rechts, die nicht so viel Interneterfahrung haben, und Internetuser, die sich noch nicht aktiv gegen rechts eingesetzt haben" wurden ins Web 2.o eingeführt, berichtet Simone Rafael, Chefredakteurin von www.netz-gegen-nazis.de. Da ging es um praktische Fragen: "Wie lege ich mein Profil an? Wie logge ich mich ein?" Dazu wurden sie über Argumentationsstrategien Rechtsextremer im Internet und entsprechende Gegenstrategien geschult.

Einer der ersten Aktiven ist der Berliner Stefan Grätz (63). "Seit einer Woche und fünf Tagen" hat er sich als Mitglied auf www.netz-gegen-nazis.de angemeldet. Er ist Mitglied der Partei "Die Linke". In deren Geschäftsstelle kann er einen PC benutzen, zu Hause hat er keinen Festnetzanschluss. Er geht noch zu Demos wie der am 2. Advent in Königswusterhausen gegen einen NPD-Aufmarsch. "Habe mich dort aber wieder abgeseilt, als ich gesehen habe, wie die Route der Nazis ist, weil das Ende der Demo erheblich vom Bahnhof entfernt war, und ich musste ja auch noch zurück", erklärt er nüchtern. "Meine Gesundheit geht rapide bergab." Er hat dann, wie im Workshop empfohlen, eine Frage im Forum zu der Demo gestellt.

"Da haben auch ein paar geantwortet, aber det wusste ich schon alles." Den Zweck, die Diskussion anzuregen, hatte er damit erfüllt... . Noch ist er skeptisch: "Ich hab' festgestellt, dass im internet 'ne Menge gesudelt wird, Kommentare weit unterhalb der Gürtellinie. Die Anonymität dabei find' ich nich so dolle. Ich find' das persönliche Gespräch weitaus prickelnder." Nur seinen Schriftverkehr wickle er seit einigen Jahren weitgehend über das Internet ab.

Ältere haben großes "ehrenamtliches Potenzial"

Damit ist er ein typischer Vertreter der Generation der "Silver Surfer". Wie Medienforscher Ende September auf einer Tagung in Erfurt darstellten, nutzen diese den PC vor allem als technische Hilfe beim Postversand, für Hobbys oder Informationssuche. Als interaktives Kommunikations- oder Unterhaltungsmedium spielt er selten eine Rolle. Wenn sie dort eine Aufgabe finden, könnte sich das ändern.

Auch Dr. Dorothee Freudenberg (57) aus Hamburg, Mitglied im Kuratorium der Freudenberg-Stiftung, welche mit anderen das Projekt fördert, meint an ihrem eigenen Beispiel ("Ich gehe zwar rein, aber lese mehr Zeitung"), dass ihre Altersgruppe sich nicht so viel im Netz bewege. Andererseits habe diese ein großes ehrenamtliches Potenzial. Und da das Medium Internet immer wichtiger würde, wäre es für ihre Generation eine Aufgabe, eine "Virtuelle Verantwortungsgemeinschaft" zu bilden, um den Rechten etwas entgegenzusetzen. Der ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf unterstützt als Schirmherr die Aktion. "Ältere Menschen besitzen einen vielfältigen Erfahrungsschatz", erklärte er bei der öffentlichen Präsentation im Oktober. "Gerade sie können rechtsextremen Sprücheklopfern ihre Grenzen aufzeigen und deren Parolen entlarven."

Demokratische Zivilgesellschaft

Netz-gegen-Nazis.de wurde im Mai 2008 von der Wochenzeitung "Die Zeit" initiiert. Seit 2009 wird das Projekt von der Amadeu-Antonio-Stiftung betreut. Diese wiederum wurde 1998 gemeinsam von der Freudenberg Stiftung und der RAA Berlin mit Hilfe des Startkapitals von Graf von der Groeben gegründet. Ziel der Stiftung ist, das Engagement für eine demokratische Zivilgesellschaft in Ostdeutschland durch Beratung, Materialentwicklung, Fortbildung, finanzielle Unterstützung, Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit und wegweisende Eigenprojekte wirksam zu stärken.

Wenn der Zuspruch zu den Workshops weiter anhält, plant Simone Rafael im nächsten Jahr bundesweit solche Schulungen für die "Generation 50plus aktiv im Netz gegen Nazis". Auf jeden Fall sichert sie eine Betreuung der "Silver Surfer" zu, und zwar persönlich durch Mails und Telefonate, nicht im Internet.


Internetlinks:

Kontakt zu Netz gegen Nazis

Konkrete Tipps gegen rechte Aktivitäten

Katharina Weyandt arbeitet als freie Journalistin für evangelisch.de.