Weihnachten alleine feiern? Manchmal kann das gut tun
Helmuth Kraus (Name geändert) ist 42, seit fast zwei Jahren in Trennung lebend, "hoffentlich und endlich bald geschieden", sagt er. Das letzte Weihnachtsfest war furchtbar für ihn: "Der reine Horror, plötzlich ist alles, was man an Beziehung und Familie aufgebaut hat, weg. Ich hab bei einem Freund auf der Couch geschlafen, wollte dauernd mit jemandem sprechen und dachte immer noch, es wird alles wieder gut werden."
16.12.2009
Von Georg Klein

Weihnachten war zu diesem Zeitpunkt für ihn das schlimmstmögliche Erlebnis. Er ist plötzlich nur noch ein kurzzeitig erwünschter Gast im eigenen Haus. Sein kleiner Stiefsohn darf kaum etwas erfahren und der neue Mann im Leben seiner Frau scheint ständig präsent zu sein. Helmuth Kraus kann es kaum ertragen, alleine zu sein, aber gerade deswegen überfordert er viele Menschen in seinem Freundeskreis. "Irgendwann wird es den meisten zu viel, wenn einer dauernd über seine Probleme spricht, egal wie viel Verständnis sie haben", sagt er. Außerdem sind die meisten Freunde zu Weihnachten selbst bei ihren Familien, oder zu Hause bei den Eltern. Aber auch die Möglichkeit mit den Eltern kommt für ihn nicht in Frage. Im Jahr zuvor noch stolz ins eigene Nest eingeladen und jetzt wieder zurück zum Vater, der es sowieso schon immer besser wusste? Nein, das will er auch nicht.

Natürlich kann er sich später mit Freunden treffen, es gibt genug Läden, die geöffnet haben. Aber das grundsätzliche Gefühl eines Totalverlustes wird am Weihnachtsabend unerträglich. "Da kann man sich nur noch irgendwo hinsetzen und es aushalten, akzeptieren, dass man draußen ist und fertig", meint Kraus heute. Und natürlich bleibt noch das Internet, der Ort, an dem man endlos um seine Themen kreisen kann. Fragen stellen, seine Situation mit anderen vergleichen und abgleichen, seinen Schmerz ablassen, Wunden immer wieder neu aufreißen und betrachten. "Heute denke ich", sagt er, "dass es wie eine Art erweitertes Nachdenken ist, ein Versuch zu verstehen, was man nicht verstehen kann. Warum handelt der Partner so, wie er handelt? Warum ist das grade jetzt so vernichtend für mich?"

Last Exit Internet

Gibt man im Netz "Weihnachten alleine feiern" ein, könnte man Tage und Monate verbringen, um sich alles anzusehen, was zu diesem Thema gepostet wurde. Da sind natürlich zuerst mal die unzähligen Partnervermittlungsseiten, die einem versichern, dass dank ihrer Hilfe ein einsamer Heiliger Abend  nicht sein muss. Ebendort gibt es dann etliche Einträge von Menschen, die nach Begleitung und Gesellschaft suchen, für das Fest und am besten auch für den Rest des Lebens. Genauso viel wird aber auch  über das Thema in Onlineforen und Communities diskutiert, von einsamen ebenso wie von familiär eingebundenen Teilnehmern.

Im Forum "Studis Online" beispielsweise kommt es schon mal vor, dass Eltern, deren Kinder im Ausland studieren, Studenten in ihrer eigenen Stadt einen Platz in der Familie zum Mitfeiern anbieten. Oder es hagelt, wie auf der der Plattform "Optikur", auf die Frage, wie man Weihnachten am erträglichsten alleine verbringen kann, nur so an guten Ratschlägen. Vom Treffen mit anderen Singles über gutes Essen oder den Tierheimbesuch bis zur Kurzreise wird alles in Betracht gezogen.

Immer wieder tauchen allerdings in den Diskussionen Teilnehmer auf, die gar nicht einsehen wollen, was so schlimm am alleine feiern sein soll. Im Forum der Zeitschrift "Brigitte" fragt sich etwa eine Nutzerin, warum ihr keiner glauben will, dass sie sich darauf freut, Weihnachten endlich einmal solo und in aller Ruhe zu verbringen – und tritt damit eine Diskussion los, die sich inzwischen über acht Seiten hinzieht. Jede/r hat anscheinend etwas zum Thema beizutragen, und es fällt auf, dass besonders familiär oder beruflich gestresste Menschen Sehnsucht nach einem einsamen Heiligen Abend zu haben scheinen. Einmal Zeit haben, um zu sich selbst zu finden, ist vermutlich ein wichtiger Grund. Zumindest scheint das für die Nutzerin namens "Tigerteddy" der Fall zu sein, wenn sie schreibt: "Außerdem möchte ich auch in mich gehen können, ein bisschen über den Sinn des Lebens nachdenken."

Unverplante Tage

Eine Aussage, die Paul Abelmann (Name geändert) sicher unterschreiben würde, auch wenn er selten bis nie Zeit in Onlineforen verbringt. Abelmann, 35, Vater einer Tochter, die drei Tage pro Woche bei ihm ist, arbeitet selbstständig und zusätzlich in einem 400-Euro-Job, "weil es sonst nicht reichen würde, eigentlich reicht es trotzdem nicht". Dieses Jahr fährt die Mutter mit der gemeinsamen Tochter über Weihnachten zu den Großeltern nach Norddeutschland. Abelmann fährt nicht mit, weil er bereits am zweiten Weihnachtstag wieder arbeiten muss.

Trotzdem findet er es nicht schlimm, nicht mit seiner Tochter zu feiern. Wenn man viel mit seinem Kind zu tun hat, an Feiertagen wie im Alltag, sagt er, dann seien einzelne Feste nicht so wichtig. Vor allem aber freut er sich über die kurze Lücke in seinem mehr als ausgefüllten Leben, "endlich einmal zwei unverplante Tage ohne Vorgaben". Vielleicht, sagt Abelman, schaue er sogar mal wieder in die Kirche, "mit all dem großen Familienaufwand war das die letzten Jahre meistens nicht möglich".

In die Kirche gehen wird Helmuth Kraus wohl nicht, auf die Idee wäre er nicht mal zur schlimmsten Krisenzeit gekommen. Aber dieses Jahr ist vieles besser, meint er. Über seine Freunde hat er ein Zimmer in einem Wohnprojekt mit Familienanschluss gefunden. Und das auf seine alten Tage, wie er meint, aber es gefällt ihm insgesamt ganz gut. Auch seinen Stiefsohn kann er inzwischen wieder öfter sehen und offen mit ihm reden. "Natürlich werde ich zu Weihnachten an das, was gewesen ist, denken, vielleicht auch mal eins zwei Stunden allein sein. Trotzdem komme ich jetzt besser damit klar – und ich habe gute Freunde."


Georg Klein lebt und arbeitet als freier Autor in Offenbach am Main