Getrennte Stromrechnung, gemeinsamer Blumenschmuck
Der Wetzlarer Dom ist eine sogenannte Simultankirche. Das Gotteshaus wird von evangelischen und katholischen Christen gleichberechtigt genutzt. Wie genau, ist in der "Domordnung" festgelegt.
15.12.2009
Stefanie Walter

Im Wetzlarer Dom gibt es evangelischen und katholischen Strom. Wenn die Katholiken ihre Messe beendet haben, läuft Küster Alfred Rambeau zum Zähler in der evangelischen Sakristei und schaltet den Strom ein. Der katholische Kollege stellt in seiner Sakristei den Strom ab. Rambeau trägt Bibel und Kreuz zum Altar, stellt die Kerzen um und schiebt die Blumen etwas zurück. Dann beginnt der evangelische Gottesdienst. "Manchmal habe ich nur fünf Minuten Zeit", erzählt der Küster.

Getrennte Stromabrechnungen, gemeinsamer Blumenschmuck: Evangelische und katholische Gemeinde teilen sich den Dom. Schon seit der Reformation im 16. Jahrhundert wird der Dom als sogenannte Simultankirche von beiden christlichen Konfessionen genutzt. Und es gelingt. "Wir zwei regeln alles untereinander, wie Arbeitskollegen in einem Betrieb", beschreibt Rambeau den Alltag der beiden Küster.

Katholiken feiern lieber spät

Andere Fragen klärt ein Ausschuss, zum Beispiel die Gottesdienstzeiten. An Heiligabend feiert die evangelische Domgemeinde um 15 und um 17 Uhr, die katholische um 22.30 Uhr. Das finden alle gut: Der späte Termin sei "ganz im Sinne der Leute und hat eine lange Tradition", erklärt der katholische Pfarrer Peter Kollas. "Da kommen auch immer ganz viele."

Bis 1945 war der Kirchenraum strikt in evangelisch und katholisch aufgeteilt. Die Katholiken nutzten den hinteren Chor, die Protestanten den Rest. "Man lebte nebeneinander her", berichtet Gabriele Freifrau von Falkenhausen, die sich seit Jahrzehnten in der evangelischen Gemeinde engagiert. Es gab oft Streit um Besitzansprüche, den im 19. Jahrhundert sogar das Kammergericht in Berlin schlichtete. Nach 1866 war Wetzlar preußische Provinzstadt.

In der Aufbauzeit war Streit verpönt

Der Zweite Weltkrieg beendete die Reibereien. Ein Bombenangriff zerstörte einen Teil der Kirche. Mit den Flüchtlingsströmen gelangten viele Katholiken nach Wetzlar. In den schwierigen Aufbaujahren konnten sich die Christen keinen Streit leisten. "Alle hatten ein Interesse, dass es weiterging", erinnert sich die 91-jährige Freifrau von Falkenhausen, und der evangelische Pfarrer Björn Heymer ergänzt: "Die Gemeinschaft der Christen entschied daraufhin, die zeitliche Nutzung des Doms zu regeln."

Deshalb besteht heute eine Domordnung, die zum Beispiel in Paragraf 24a besagt: "Für die Evangelische Kirchengemeinde gelten folgende Benutzungszeiten: von 11 bis 15 Uhr ständig, mit der Ausnahme gemäß § 23d". Das ausgefeilte Regelwerk lässt erahnen, wie oft in der Vergangenheit um Kleinigkeiten gestritten wurde. "Es klappt heute, weil wir es wollen", sagt Freifrau von Falkenhausen. Hinzu kommen handfeste wirtschaftliche Gründe. Das ist auch andernorts so - rund 60 Simultankirchen gibt es heute in Deutschland.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Die Unterhaltung des beeindruckenden Wetzlarer Doms, der ab 1230 gebaut und nie fertig wurde, kostet viel Geld. Es sei billiger, eine Kirche zu erhalten als zwei, betonen beide Pfarrer. Heymer sieht im Wetzlarer Beispiel sogar ein mögliches Zukunftsmodell. Wenn eine Gemeinde aus Kostengründen ihre Kirche nicht halten könne, rät er: "Keine Angst vor einer solchen Kooperation, wenn sie auf Augenhöhe geschieht." Auch der Internetauftritt des Wetzlarer Doms ist ökumenisch gestaltet.

Trotz aller Absprachen leben beide Gemeinden jedoch ein "Nebeneinander", wie Heymer es formuliert, und in "versöhnter Verschiedenheit", wie es Kollas ausdrückt. Die Zusammenarbeit zwischen Katholiken und Protestanten laufe in Wetzlar "nicht besser oder schlechter als anderswo", findet Heymer. Jedoch besuchten die Leute häufiger mal eine Veranstaltung der anderen Konfession. Und erleben dabei, wie andere feiern.

epd