Afghanistan braucht zivilen Aufbau, nicht weitere Soldaten!
Wenn wir in diesen Tagen in Deutschland friedliche Weihnachten feiern, herrscht in Afghanistan Krieg. Auch wenn manche meinen, völkerrechtlich sei dieser Konflikt kein "Krieg", die Soldatinnen und Soldaten und auch weite Teile der Bevölkerung empfinden das so. Menschen werden verletzt und sterben. 4.500 deutsche Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien in Deutschland leiden darunter ebenso wie die Menschen, die mithelfen, Afghanistan zivil, wirtschaftlich und entwicklungspolitisch aufzubauen.
15.12.2009
Von Renke Brahms

In Deutschland fordert inzwischen eine klare Mehrheit der Bevölkerung die Beendigung des Afghanistaneinsatzes. Darüber braucht man sich nicht zu wundern, hält man sich die Informationspolitik der Bundesregierung vor Augen. Wer Unterstützung für die militärischen und zivilen Anstrengungen in Afghanistan fordert, muss Klartext reden, ein Gesamtkonzept haben und dies öffentlich machen. Dazu gehört es zu beschreiben, welche Schritte notwendig sind und auch gegangen werden, um Afghanistan eine Zukunft zu geben und die Bundeswehr abzuziehen. Ein solches Gesamtkonzept und die Debatte darüber vermisse ich nach wie vor.

Recht der Bürger auf ehrliche Information

Die Salami-Informationspolitik zum Angriff auf die beiden Tanklastzüge und die Menschen in deren Nähe ist skandalös. Wir leben in einer Demokratie, in der die Bürger ein Recht auf ehrliche Information haben. Wir aber müssen jeden Tag neue Informationen lesen und hören.

Die genauen Umstände und eine abschließende Bewertung mögen dem Untersuchungsausschuss und den Gerichten vorbehalten bleiben. Sollte es sich aber herausstellen, dass das Kommando Spezialkräfte (KSK) an dem Angriff maßgeblich beteiligt war und der Angriff vorrangig den beteiligten Taliban galt, so wäre dies ein skandalöser Strategiewechsel, der mit dem Völkerrecht und mit dem Auftrag durch den Bundestag nichts mehr zu tun hat.

Massive Aufstockung der zivilen Anstrengungen nötig

Dem immer lauter werdenden Aufruf "Bundeswehr raus aus Afghanistan!" kann ich mich grundsätzlich anschließen. Allerdings fangen die Fragen und Probleme damit erst richtig an. Es muss dazu gesagt werden, wie ein Abzug der Bundeswehr aussehen kann, ohne Afghanistan einfach von heute auf morgen sich selbst oder den Taliban zu überlassen.

Deshalb ist meine Forderung: Ein klar erkennbarer Strategiewechsel vom militärischen Schwerpunkt zum Vorrang des Zivilen wie es in der Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschrieben ist. Nur so können die Bundeswehr und die anderen militärischen Kräfte schrittweise abziehen. Zu einem solchen Strategiewechsel gehört nicht die Erhöhung der Zahl der Soldatinnen und Soldaten, sondern die massive Aufstockung der zivilen Anstrengungen und Mittel. Nur wenn die Bevölkerung Afghanistans selbst eine Alternative zum Drogenhandel und zur Herrschaft von Warlords und Taliban erkennt, wird es Frieden geben können.

 


 

Renke Brahms ist der leitende Geistliche der Bremischen Evangelischen Kirche und Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).