Schüler hinter Gittern: Gefängnisbesuche als Abschreckung
Abschreckung durch eigenes Erleben funktionier nicht immer. Wenn allerdings hinter einem Jugendlichen mal die Gefängnistüren zuschlagen, hofft die Justizvollzugsanstalt Saarbrücken, will er vielleicht nie wiederkommen. Darum ermöglicht die JVA ganzen Schulklassen den Besuch im Gefängnis. Sie sollen ein realistisches Bild des Strafvolzugs bekommen.
15.12.2009
Von Marlene Grund

Die Gefängnistore schließen sich hinter den Schülern. Jeder wird durchsucht. Die Stimmung ist beklommen. Doch wer Klassenclown ist, muss sein Unbehagen auch in dieser Situation überspielen. "Was, der sitzt wegen Mordes und darf in unsere Nähe?" trompetet der 15-Jährige mit der coolen Baseballmütze, als Birgit Junker, Leiterin der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken, ein Gespräch mit einem Inhaftierten in Aussicht stellt.

Dann sitzen die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9 M2 der Völklinger Hermann-Neuberger-Schule einem Mann gegenüber, der völlig anders ist als ihre Vorstellungen von einem Schwerverbrecher. Kein nervöser Psychopath mit großflächigen Tätowierungen, sondern ein sanfter, freundlich wirkender Mann, der freiwillig und geduldig alle Fragen beantwortet. "Ich bin hier, weil ich verhindern will, dass einer von euch einmal auf dieser Seite sitzt", sagt er zu seiner Motivation, mit den Schülern zu reden.

Bundesweit einzigartiges Projekt

Das bundesweit einzigartige Präventionsprojekt "Schüler hinter Gittern" hat in den vergangenen knapp fünf Jahren mehr als 2.700 Schüler für Informationsbesuche hinter die Mauern der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken gebracht. Das Konzept setzt auf Abschreckung. Wenn sich hinter 14- bis 16-Jährigen einmal die Tür einer U-Haft-Zelle schloss und sie den Tagesablauf eines Häftlings kennenlernen, gewinnen sie ein realistisches Bild des Strafvollzugs, so die Überlegungen aus dem Ministerium.

"Vielleicht kann die konkrete Strafandrohung sogar den einen oder anderen von einer Tat aus Unbedachtheit abhalten", sagt der saarländische Justizstaatssekretär Wolfgang Schild (CDU). Im Dezember konnten erstmals Journalisten das Treffen einer Schulklasse mit einem Gefangenen begleiten.

Die Witze im Gespräch bleiben aus

Als sie dem Häftling gegenübersitzen, sind plötzlich alle Schüler der neunten Klasse aufmerksam und gespannt, die Witze unterbleiben. Viele haben Fragen an den Inhaftierten: nach Fluchtgedanken und Freiheitsdrang, nach Weihnachten hinter Gittern, dem Tagesablauf und der Familie, nach Entlassungstermin und danach, ob man im Knast schon von der Wirtschaftskrise gehört hat. Und schließlich die zentrale Frage: "Haben Sie ein schlechtes Gewissen?"

Ohne Einzelheiten zu seiner Verurteilung preiszugeben - "eine Beziehungstat" - spricht der Gefangene von seiner lebenslangen Schuld, die für ihn auch nach der Haft nicht getilgt sein wird: "Man kann nichts im Leben mehr rückgängig machen." Er schildert auch die völlige Hilflosigkeit und Unselbstständigkeit im Gefängnis: "Für alles, was man tut, braucht man eine Genehmigung." Er selbst hat sich gut mit der Haftsituation arrangiert und bekennt dennoch, dass er sich nie an das Leben hinter Gittern gewöhnen werde.

Schülerbesuche machen den Gefängnisalltag härter

Bis zu einem dreiviertel Jahr im Voraus sind die Termine zum Besuch in der JVA Saarbrücken vergeben. Wenn es an saarländischen Schulen um Drogen und Gewalt geht, kann der Gefängnisbesuch die Erklärungen der Pädagogen ergänzen. "Kriminelle Karrieren beginnen häufig mit Schuleschwänzen und Drogen", warnt JVA-Leiterin Birgit Junker. Junge Menschen müssten nicht nur wissen, dass Gewalt keine Probleme löse, heißt es in einer Zwischenbilanz des Projekts. Sondern es müsse deutlich werden, dass die Gesellschaft Straftaten mit dem Strafrecht ahndet.

Die Kosten von "Schüler hinter Gittern" sind minimal, der organisatorische Aufwand in der JVA Saarbrücken dagegen ernorm. Alle 14 Tage, wenn die Schulklassen kommen, gibt es weder Gefangenenbewegungen noch Rechtsanwaltsbesuche, ist der Knast noch abgeschotteter als sonst. Die Mitarbeiter in der JVA investieren freiwillig Zeit und Arbeit, um den Schülern den Vollzug nahe zu bringen. Vor allem wollen sie klar stellen, dass Kriminalität anders ist als im Fernsehen: schmutziger und banaler. Sie beschädigt Opfer und Täter gleichermaßen und hat mit Unterhaltung nichts zu tun hat.

epd