Deutsches Klimabewusstsein: Anspruch und Wirklichkeit
Von wegen Umweltmeister: Die Deutschen sind nach einer Studie der Universität Marburg längst nicht so klimabewusst, wie sie selbst von sich glauben. Der Trend gilt aber für ganz Europa.
14.12.2009
Von Bernd Buchner

Mülltrennung, Dosenpfand, Anti-AKW: Die Deutschen gelten international als die großen Umweltschützer. Doch gerade in Sachen Klimaschutz, der zurzeit durch die Kopenhagener Konferenz im Blickpunkt steht, hat sich nach Angaben der Wissenschaftler eine "gewisse Selbstzufriedenheit" breitgemacht. Das zeige ein Vergleich mit anderen EU-Ländern. Nirgendwo außer in Irland seien so viele Bürger der Meinung, dass die Regierung doch schon genug gegen den Klimawandel unternehme. Motto: Wir haben unsere Klimakanzlerin, da brauchen wir selbst nichts mehr gegen die Treibhausgase tun.

Für die Untersuchung vergleich die Arbeitsgruppe "Methoden und Evaluation" der Marburger Philipps-Universität unter Leitung des Erziehungswissenschaftlers Udo Kuckartz die 27 EU-Länder. Demnach klafft überall auf dem Kontinent eine große Lücke zwischen der erklärten Bereitschaft, das Klima zu schützen, und dem alltäglichen Handeln. 59 Prozent der Europäer sagten, dass sie schon konkret etwas gegen den Klimawandel unternommen hätten - das waren zwei Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Bei der Frage nach den konkreten Aktivitäten lag auf dem ersten Platz die Trennung des Hausmülls, "eine Aktivität mit bescheidenem Effekt auf die Reduzierung von Klimagasen".

Neues Bewusstsein fehlt offenbar

75 Prozent der Europäer gaben an, dass sie umweltfreundliche Produkte kaufen, aber nur 17 Prozent der befragten Personen hatten dies im vergangenen Monat tatsächlich getan, wie die Studie feststellt. Anspruch und Wirklichkeit klaffen also weit auseinander - besonders im Umwelt-Vorzeigeland Deutschland, das für seine gelben Säcke und Ökoläden gern verspottet wird. Der Kampf gegen Waldsterben, sauren Regen und die Atomkraft hat offenbar nur wenig bewirkt, ein breites Bewusstsein für die Gefahren durch den Klimawandel ist noch nicht entstanden.

Doch dass gerade Deutschland als eines der größten Industrieländer der Welt mehr für die Rettung der Erde tun kann und tun muss, betont nicht nur Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin von "Brot für die Welt". Die Bundesrepublik muss beim Klimaschutz dringend zulegen, um künftige Ziele zu erreichen, zeigt auch eine kürzlich vorgelegte Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (PwC). Vor dem Hintergrund seiner hohen Wirtschaftsleistung müsse das Land die CO2-Emissionen, die pro erwirtschaftetem Bruttoinlandsprodukt anfallen ("Carbon Intensity"), bis 2050 um fast 90 Prozent senken.

Neue Partei müsste "Die Blauen" heißen

Dass ausgerechnet in Deutschland das Klimabewusstsein weit weniger ausgeprägt ist als gedacht, kommt als Weckruf für Gesellschaft und Öffentlichkeit gerade zur rechten Zeit - wenn sich heute eine neue Umweltpartei gründen würde, müsste sie wohl "Die Blauen" heißen, denn es geht um den gesamten blauen Planeten, nicht nur um seine grünen Einzelteile. Das wird beim Kopenhagener Gipfel, der in seine entscheidende zweite Woche geht, mehr als deutlich. In einem indes bleiben die Deutschen zweifellos Weltmeister: im Protestieren. Ein Drittel der Demonstranten, die am Wochenende in der dänischen Hauptstadt festgenommen wurden, stammte aus der Bundesrepublik.

mit Material von epd