NS-Zwangsarbeit - Späte Entschädigung eines Unrechts
"... und bitte im Namen des deutschen Volkes um Vergebung." Bundespräsident Johannes Rau wählte vor zehn Jahren starke Worte, um deutlich zu machen, worum es geht: Mehr als 50 Jahre lang mussten Hunderttausende Menschen darauf warten, dass ihr Leid anerkannt wird.

Genau vor zehn Jahren, Mitte Dezember 1999, einigten sich Vertreter der deutschen Industrie und der Bundesregierung nach monatelangen Verhandlungen auf die Entschädigungssumme von zehn Milliarden Mark (5,1 Milliarden Euro), je zur Hälfte von beide Seiten getragen. Wenige Tage später, am 17. Dezember, sagte Rau in seiner Erklärung, dass das Leid nicht wiedergutgemacht werden könne. Aber es müsse anerkannt und das Unrecht, das ihnen angetan worden sei, müsse Unrecht genannt werden.

Deutsche Industrie stolperte über ihre Profitgier

Die deutsche Wirtschaft hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Verantwortung gestohlen. Sie verwies auf das Schuldenabkommen von 1953, wonach Forderungen aus dem Ausland als Reparationen galten, die erst nach Abschluss eines Friedensvertrags abgegolten werden müssten. Einen Friedensvertrag gab es nicht, also lehnten sich die Firmen zurück.

Das änderte sich mit der deutschen Einheit. 1996 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass durch die Wiedervereinigung der Hinweis auf den fehlenden Friedensvertrag gegenstandslos sei. 1998 reichte der New Yorker Anwalt Melvyn Weiss eine Sammelklage ehemaliger Zwangsarbeiter gegen Ford ein. Klagen gegen VW, BMW, Siemens, Krupp, MAN und Leica folgten. Und für die deutsche Industrie ging es plötzlich nicht nur um Millionensummen, sondern um ihr Prestige.

Deutsche Evangelische Kirche beteiligte sich mit 5,1 Millionen Euro

Das Thema der NS-Zwangsarbeit, das zuvor allenfalls Historiker interessiert hatte, geriet in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Der Grünen-Politiker Volker Beck, der sich als Bundestagsabgeordneter seit 1994 für die "vergessenen NS-Opfer" einsetzte, erinnert sich, dass diese Opfer politisch immer ein Randthema gewesen seien.

Die damalige rot-grüne Bundesregierung nahm Verhandlungen mit der US-Regierung auf, um durch eine Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter Rechtssicherheit für die deutsche Wirtschaft zu erlangen. In Washington rang der zum Sonderbeauftragten ernannte und am Samstag vor einer Woche gestorbene Otto Graf Lambsdorff (FDP) um Rechtsfrieden. In Berlin stritten Bundesregierung und Industrie ums Geld.

Nach der Einigung im Dezember ging es dann vergleichsweise schnell. Im Jahr 2000 wurde die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" eingerichtet. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland beteiligte sich mit zehn Millionen Mark (5,1 Millionen Euro). 2001 begannen die Auszahlungen. Weil sich niemand sicher war, wie viele Opfer sich melden würden, gab es zunächst nur eine erste Rate, die später aufgestockt wurde.

Fall des "Eisernen Vorhangs" öffnet Osteuropäern Zugang

Mit rund 300.000 anspruchsberechtigten Zwangsarbeitern wurde ursprünglich gerechnet. Letztlich wurden es 1,66 Millionen in mehr als 100 Ländern, die im Schnitt 2.600 Euro bekamen, maximal 7.500 Euro. Am meisten Geld erhielten Zwangsarbeiter aus Konzentrationslagern, die für deutsche Firmen schuften mussten.

Viele von ihnen lebten und leben in Osteuropa und waren dadurch vor dem Fall des "Eisernen Vorhangs" von allen Entschädigungszahlungen ausgeschlossen gewesen. Gerade für sie seien die Zahlungen angesichts der niedrigen Renten ein erheblicher Betrag gewesen, sagt Volker Beck. "Wir haben einen ernsthaften Beitrag geleistet, um vielen Opfern an ihrem Lebensende ein paar zusätzliche Möglichkeiten einzuräumen." Insgesamt zahlte die Stiftung bis 2007 rund 4,37 Milliarden Euro aus.

Arbeit der Stiftung geht weiter

Im Juni 2007 wurde die finanzielle Entschädigung für abgeschlossen erklärt. Trotz mancher Kritik überwog am Schluss die Zufriedenheit. Die Stiftung habe historische Bedeutung, sagte Bundespräsident Horst Köhler zum Abschluss der Zahlungen. "Es ist eine Initiative, die bitter notwendig war auf dem Weg zu Frieden und Aussöhnung."

Die Entschädigung ist beendet, die Arbeit der Stiftung geht weiter. Mit einem Kapitalstock von 426 Millionen Euro finanziert der Fonds "Erinnerung und Zukunft" Bildungsprogramme, Jugendaustausch, Stipendien und Ausstellungen. Manche Themen stießen die ehemaligen Zwangsarbeiter selbst an: Über Anträge von Opfern wurden 5.000 Lager bekannt, von denen kein Historiker bis dahin etwas wusste.

epd