Krisenbewältigung per Mausklick
Die Online-Beratung bietet große Chancen: Die Beratung erfolgt unabhängig von Zeit und Ort und unterliegt keinerlei Kontrolle. Aber diese Merkmale bergen auch Gefahren. Eine Wiesbadener Studie erklärt anschaulich, welche Möglichkeiten der Beratung im weltweiten Netz vorhanden sind und welche besonderen Anforderungen an die Beratenden gestellt werden.
14.12.2009
Von Sabine Damaschke

Während in den Nebenräumen rund 50 Mal am Tag das Telefon klingelt, bleibt es im Zimmer von Rüdiger Kerls-Kreß ruhig. Konzentriert sitzt der 45-jährige Mitarbeiter der Düsseldorfer Telefonseelsorge vor dem Bildschirm und chattet mit "Blume". Ob es sich bei "Blume" um eine Frau oder einen Mann handelt, welches Alter und welchen Beruf der Klient hat, weiß Kerls-Kreß nicht. Für die Beratung sei das oft auch gar nicht so wichtig, erklärt der Seelsorger. Der Mensch in seiner Not steht im Mittelpunkt.

Chancen und Grenzen der Beratung per Internet

Bei "Blume" etwa ist es die Frage, ob sie in der Partnerschaft bleiben oder gehen soll. Einen konkreten Rat gibt Kerls-Kreß nicht. "Ich versuche immer herauszufinden, was die Person schon selbst für eine Lösung hat", sagt er. Denn meistens wüssten die Klienten im Grunde schon, mit welcher Entscheidung sie sich besser fühlen. Bereits seit zehn Jahren leitet der katholische Gemeindereferent die Onlineberatung der Düsseldorfer Telefonseelsorge.

Sechs ehrenamtliche Mitarbeiter stehen ihm zur Seite und beantworten jährlich rund 300 E-Mails. "Die Onlineberatung wird sich in Zukunft noch stärker etablieren", sagt Eleonore Ploil. Die Professorin für soziale Arbeit an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden hat die Chancen und Grenzen der Onlineberatung untersucht und in einer Studie zusammengefasst.

Online-Beratung ersetzt keine Therapie

Dabei stellt sie auch internationale Vergleiche an. Denn im Gegensatz zur Entwicklung in Australien oder Südamerika steckt die Onlineberatung in Deutschland in den Kinderschuhen. "Bei uns wird das Internet noch viel zu oft wie eine Schreibmaschine benutzt", sagt Ploil. In Australien, Südamerika oder Singapur dagegen schöpften Berater und Klient die Möglichkeiten des Internet voll aus. So stünden sie häufig per SMS und Handy in Kontakt, berichtet die Professorin. Außerdem nutzten die Therapeuten Webcam, Digitalkamera und Malprogramme. "Teilweise ersetzt die Onlineberatung die Therapie vor Ort, vor allem in strukturschwachen Regionen."

Dies sei eine Chance und ein Risiko zugleich, betont Ploil. Die Internetberatung erreiche vor allem ältere und behinderte Menschen sowie Migranten, die sonst keine psychotherapeutische Hilfe bekommen würden. Aber sie sei nicht für jeden Menschen geeignet und habe auch klare Grenzen. So könne ein Berater aufgrund der räumlichen Distanz bei einer akuten Suizidgefährdung nicht eingreifen. "Die Onlineberatung ersetzt eine gute Therapie vor Ort nicht", unterstreicht die Expertin.

Anforderungen an die Beratenden

Andererseits ermöglichen Distanz und Anonymität nach Ansicht der Professorin eine große Offenheit. "Gerade weil viele Menschen ihrem Berater nicht direkt gegenübersitzen oder seine Stimme am Telefon als kontrollierend erleben, sind sie weniger gehemmt", beobachtet auch Kerls-Kreß. Suizidgedanken werden offen geäußert, psychische Erkrankungen wie Ess- oder Borderline-Störungen direkt angesprochen.

Kerls-Kreß versteht seine Arbeit nicht als Therapie, sondern als "Akut-Intervention". "Es geht meistens darum zu klären, was der Ratsuchende jetzt braucht, etwa wie er wieder zur Ruhe kommen kann." Ein Anspruch, der vom Berater viel Aufmerksamkeit fordert. Weil weder Körperhaltung noch Stimme oder Mimik Aufschluss über die psychische Verfassung des Klienten geben könnten, müsse der Onlineberater den Text mit einem geschulten Auge lesen, sagt Ploil.

Internet als Chance

In ihrer Studie führt sie 14 Schritte zur professionellen Bearbeitung einer E-Mail auf. "Der Berater sollte seine eigenen Gefühle und Bilder, die er sich vom Ratsuchenden macht, hinterfragen", erklärt Ploil. "Er muss den Menschen sehen, nicht den Mann oder die Frau, den Unternehmer oder Arbeiter."

Dann solle er sich fragen, was das Thema des Ratsuchenden ist, welche Lösungen er selbst schon für sein Problem andeutet, welche Ziele er verfolgt und welche Werte und Normen er hat: "Das kann jeder ausgebildete Therapeut, Seelsorger oder Sozialarbeiter, der die Grundlagen der psycho-sozialen Beratung kennt, erlernen." Er müsse nur aufgeschlossen gegenüber dem neuen Medium sein. Und das Internet als Chance sehen.

epd

Buchhinweis:

Eleonore Ploil: Psychosoziale Online-Beratung,Ernst Reinhardt-Verlag München/Basel, 106 Seiten 17,40 Euro.