"Tatort: Wir sind die Guten", Sonntag, 13. Dezember 2009 im Ersten
Aus Angst vor Flops sind Experimente bei ARD und ZDF schon lange nicht mehr erlaubt, jedenfalls nicht um 20.15 Uhr. Im Rahmen der Reihenkrimis allerdings dürfen Autoren und Regisseure auch mal schräge Ansätze ausprobieren. Das gilt vor allem für die regelmäßig mit Preisen bedachten Sonntagskrimis des Bayerischen Rundfunks (BR). Dass das Münchener "Tatort"-Duo Wachtveitl/Nemec auch nach 18 gemeinsamen Dienstjahren noch derart beliebt ist, hat einen einfachen Grund: Die Krimis sind immer für eine Überraschung gut.
Diesmal erzählt Jobst Oetzmann, für seinen Film "Im freien Fall" (auch ein BR-"Tatort") mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet, einen veritablen Thriller mit Kinoqualität: Nach einem Unfall hat Ivo Batic (Nemec) das Gedächtnis verloren. Als sich herausstellt, dass er wenige Stunden vor ihrer Ermordung mit einer Polizistin aus dem Rauschgiftdezernat zusammen war, gerät er auch noch in Mordverdacht. In seiner und ihrer Wohnung finden die Spürhunde der Drogenfahndung Rauschgift. Der zudem von Halluzinationen und Verfolgungswahn geplagte Batic traut schließlich niemanden mehr, am wenigsten sich selbst.
Oebstmann hat das Drehbuch gemeinsam mit Magnus Vattrodt verfasst, seinem Koautor schon bei "Der Novembermann". Die beiden Autoren haben sich eine enorm fesselnde Handlung ausgedacht, die Oebstmann ungemein packend umgesetzt hat. Dabei bedient er sich einer Bildgestaltung (Volker Tittel), die Batics Verwirrung großartig illustriert: Wenn ihn die Paranoia übermannt, kippt die Kamera aus der Balance und beginnt eine entfesselte Achterbahnfahrt. Schon der Einstieg, der eine Szene kurz vor Schluss vorwegnimmt, als Batic durch die Kugel eines Heckenschützen lebensgefährlich verletzt wird, ist mit seinen wie ein Filmnegativ gestalteten Aufnahmen eine gelungene Bebilderung des Todeskampfs.
Entscheidend aber ist die Geschichte, in der Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) seinen Freund immer wieder davon überzeugen muss, dass sie die Guten sind. Gegenspieler sind der zwielichtige Chef des Drogendezernats (Max Hopp) und der Leiter der Ermittlungen, ein arroganter LKA-Beamter (Michael Mendl). Leitmayrs Solidarität mit dem Kollegen führt prompt zu seiner Suspendierung. Trotzdem entdeckt er einen offenkundig manipulierten Videofilm, den die Drogenfahnderin im Rahmen einer Überwachung aufgenommen hat. Das fehlende Filmstück ist der Schlüssel zur Lösung des Falls; und die hat selbst für versierte Krimi-Fans eine faustdicke Überraschung zu bieten.
Schon die Originalität und Vielschichtigkeit der verschwörungsreichen Handlung macht diesen immer wieder um ungewohnte Action-Elemente angereicherten Thriller zu einem ganz besonderen Film. Dank Oebstmanns Umsetzung sowie der darstellerischen Leistungen aber ist "Wir sind die Guten" ein herausragender "Tatort", zumal spätestens das an den Nerven zerrende Finale für pure Hochspannung sorgt.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).