Bücher aus dem Diesseits für den Bundespräsidenten?
"Geben Sie dem Bundespräsidenten eine Bildungschance. Schenken Sie ihm Ihre Lieblingsbücher aus dem Diesseits und schicken Sie diese an das Bundespräsidialamt in Berlin." Mit diesen Sätzen haben bekennende Atheisten in NRW einen allgemeinen Aufruf an die Bevölkerung gestartet. Allen voran Rainer Ponitka, Sprecher des Landesverbandes NRW vom Internationalen Bund Konfessionsloser und Atheisten e.V. (IKBA). Ponitka: "Lassen Sie Herrn Köhler teilhaben an den großartigen Ideen der Aufklärer, an Philosophie, Religionsfreiheit, Menschenrechten, Demokratie, Kunst und Wissenschaft."
11.12.2009
Von Bernd Tiggemann

Auslöser dieser Aktion war ein Grußwort, das Köhler am Mittwoch in Münster zum 50-jährigen Bestehen des Instituts für neutestamentliche Textforschung gehalten hatte. Dabei hatte der Bundespräsident mit seiner persönlichen Meinung nicht hinterm Berg gehalten. Ja, die Bibel sei das wichtigste Buch, das er kenne. Ihre Texte seien heute genau so aktuell wie damals. Die Bibel biete Orientierung. Sie könne unserem Alltag Sinn stiften.

Eine Position, der die NRW-Atheisten vehement widersprechen: "Die Bibel ist ein vielschichtiges und in Teilen sogar inhumanes Buch", sagt Rudolf Ladwig, Zweiter Vorsitzender des IBKA. "Den Anspruch, auch in der heutigen Gesellschaft ethische Orientierung zu bieten, kann sie nicht einlösen." Darüber hinaus wirft Ladwig dem Bundespräsidenten vor, christlich-fundamentalistischen Strömungen, die die Bibel wortwörtlich interpretieren, Vorschub zu leisten. Er verbreite eine "naive und idealisierende Sicht der Bibel als Sammlung vermeintlich kindgerechter Erzählungen".

Kommentar: Andere Meinungen als die eigenen tolerieren lernen!

Ganz schön schweres Geschütz, das hier gegen Horst Köhler aufgefahren wird. Es ist frech, ihm Naivität zu unterstellen, nur weil er sich klar positioniert. Es ist unfair, ihm einen persönlichen Bildungsnotstand nachzusagen, nur weil man seine Meinung nicht gut heißt.

Auch als kritisch denkender Freigeist sollte man zumindest mit der theoretischen Möglichkeit rechnen, dass Menschen trotz oder gerade aufgrund historisch-kritischer Bibelexegese zu dem Schluss kommen, dass die Bibel das wichtigste Buch der Welt sei, ja dass sie Orientierung vermitteln sowie Trost und Hoffnung spenden könne.

Viele Menschen, die in ihrem Leben mehr als ein Buch gelesen haben, können auf ein Lieblingsbuch verweisen. Sei es, weil es großen Lesegenuss bietet oder weil sein Inhalt einem in besonderer Weise ans Herz gewachsen ist. Letzteres scheint bei Horst Köhler mit Blick auf das "Buch der Bücher", wie die Bibel oft genannt wird, der Fall zu sein. Dabei handelt es sich um nichts mehr und nichts weniger als die persönliche Meinung des Bundespräsidenten. Die ist ohne jeden Zweifel subjektiv gefärbt, auch wenn sie von nicht wenigen Bundesbürgern geteilt wird.

Aber das ist noch lange kein Grund, diese Meinung grundsätzlich in Frage zu stellen. Die NRW-Atheisten sollten schleunigst lernen, andere Meinungen als die eigene zu tolerieren, auch und gerade wenn sie sich inhaltlich anders positionieren. Der Bundespräsident muss nicht therapiert werden. Erst recht nicht von den Atheisten in Nordrhein-Westfalen. Und ganz sicher nicht mit zeitgenössischer Literatur, die der erste Mann des Staates zu Genüge gelesen haben dürfte.


Bernd Tiggemann ist Online-Redakteur der Evangelischen Kirche von Westfalen.