Störungen im Betriebsablauf (Folge 11)
Eine Reise führte unsere Bahn-Kolumnistin Ursula Ott nach Zürich. Und siehe da, alles anders in der Schweiz. Dort funktionieren Umsteigeverbindungen, bei denen nur zwei Minuten Zeit zum Umsteigen bleibt.
11.12.2009
Von Ursula Ott

Meine Woche vom 6. bis 11. Dezember

Sonntag

Nikolaus-Invasion am Bahnhof. Wer gegen 18 Uhr nichtsahnend die Haupthalle betritt, hat kurzzeitig die Vision, der Kölner Hauptbahnhof sei von Coca Cola aufgekauft worden. Alles voller roter Mützen. Wer weiß, in Zeiten, in denen unser Fußball-Stadion Rhein-Energie-Stadion heißt und die ehemalige Kölnarena Lanxess-Arena. Vielleicht ist das hier der Coca-Cola-Bahnhof? Aber nein, es ist nur Christkindlmarkt, und jedes Adventswochenende bricht über Köln eine Invasion von Holländern, Belgiern und Engländern herein. Und dann fahren sie wieder heim mit ihren roten Plastikmützen, und der Holländer, der Belgier und der Engländer denkt wahrscheinlich, alle Deutschen sehen so aus und stinken nach Glühwein. Nein, der europäischen Völkerverständigung dient das nicht.

Montag

Der ganze Bahnhof ist eine große glitzernde Weihnachts-Shopping-Mall geworden. Aber eine Ecke gibt es, die ist rührend schlicht geblieben: In der Radstation, dem karitativen Projekt, in dem ehemalige Junkies für 70 Cent am Tag die Fahrräder der Pendler bewachen – da hat die Bahnhofsmission eine Weihnachtskrippe aufgebaut. Ganz hinten im Raum, wo sie wirklich keiner findet, hinter den Rädern, die lange nicht abgeholt wurden. Ich hatte ein Schild gesehen und frage mich durch, von selber hätte ich sie nie gefunden. Eine selbst gebastelte Pappkarton-Hütte. Wie sympathisch.

Dienstag

Ich fahre heute nicht mit der Bahn, ich bin abends in Frankfurt auf einer Weihnachtsfeier mit Kolleginnen. Jede soll von ihrem Jahr 2009 erzählen, und ich berichte unter anderem von meiner fast täglichen Pendelei. "Du Ärmste", sagen die Kolleginnen. Das ist natürlich großer Quatsch, denn es gibt wirklich schlimmere Schicksale als Zug fahren. Die Arbeit ist nun mal nicht immer da wo die Familie ist, und Familien sind heute oft so kompliziert, dass sie schwer von einem Ort zum andern verladen werden können. Je mehr Kolleginnen von ihrem Jahr 2009 erzählen, desto klarer wird: Irgendwas passt immer nicht zusammen. Die Liebe und der Job. Die Arbeitszeiten und die Kinder. Die Träume und der Alltag. Der Anspruch und die Wirklichkeit. Einiges davon kann man ändern 2010, anderes muss man akzeptieren. Köln und Frankfurt trennen 195 Kilometer, und es werden nicht weniger, wenn man sie jeden Tag bejammert. Love it, change it or leave it. Ich habe längst beschlossen, es zu mögen.

Mittwoch

Heute fahre ich von Frankfurt nach Zürich, für eine Begegnung in "chrismon", und das finde ich jetzt schon erstaunlich: Fast nur Männer an Bord. Alles Banker? Ruhig ist es, herrlich ruhig, kein Vergleich mit der täglichen Fahrt nach Köln. Dafür pulsiert der Bahnhof in Zürich. Überhaupt: Was für ein schöner Bahnhof! Ich komme um 22 Uhr an, und überall sitzen schicke Menschen in kleinen Eisgrotten auf Bänken mit kuscheligen Schafsfellen. Wie in Davos auf der Skihütte in der Mittagspause. Wie machen das die Schweizer, wo haben sie bloß ihre Armen versteckt, ihre Junkies, ihre Bettler, die es doch an jedem Bahnhof gibt?

Donnerstag

Ich habe sie dann doch noch gefunden, die Armen und die Kaputten, gleich hinterm Bahnhof Richtung Rotlichtviertel. Und bei Tageslicht schwant mir auch, warum der Bahnhof so sauber ist: So viel Polizei! Aus Angst vor Anschlägen, jetzt, nach dem Minarett-Volksentscheid? Nein, nein, sagt meine Schweizer Freundin, das ist immer so hier, Polizisten in blauen Uniformen und Barrett auf dem Kopf bestimmen das Straßenbild. Alles ganz schön perfekt hier. Ich habe für die Rückfahrt eine Verbindung mit zweimal umsteigen gewählt, zwei Minuten Aufenthalt in Winterthur, drei in Schaffhausen. Auf die Sekunde pünktlich landet jeweils der Zug, es ist fast schon beängstigend. Und ich dachte schon, Deutschland sei perfekt. Gegen das hoch entwickelte Schweizer Bahnsystem ist Deutschland maximal ein Schwellenland.

Freitag

Ich habe auf dem Rückweg nach Frankfurt Zwischenstopp bei meiner Mutter in Oberschwaben gemacht. Ich besuche sie immer im Advent, und immer bringe ich ihr einen Adventsschmuck fürs Wohnzimmer mit. Letzte Woche habe ich für sie in Berlin, in einer wunderschönen Galerie in der Albrechtstraße, einen Engel mit dünnen Beinen und Riesenflügeln gekauft. Heute morgen beim Frühstück packt sie ihn aus, freut sich, zeigt mir ihre neue Tasse, die sie gerade von der Nachbarin bekommen hat: derselbe Engel mit den dünnen Beinen! Aha, das gibt's also gar nicht nur in Berlin. Das hätte sie auch in Ravensburg kaufen können. Und dafür habe ich das zerbrechliche kleine Teil nun von Berlin nach Frankfurt, von Frankfurt nach Zürich, und von Zürich nach Ravensburg geschleppt. Schwer war es nicht, aber aufwändig verpackt, wegen der Flügel und den dünnen Beinen. Aber das soll bei mobilen Menschen vielleicht so sein. Engel machen auch mal Umwege. Schönen 3. Advent!



Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de

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