Zu den Lösungen, die die Kultusminister beraten haben, gehören unter anderem, die Stofffülle und Zahl der Prüfungen zu begrenzen, die Studienzeiten flexibler zu gestalten und den Hochschulwechsel durch eine einfachere Anerkennung von Leistungsscheinen und Prüfungen erheblich zu erleichtern – Punkte, die eigentlich zum Katalog des Bologna-Prozesses gehören, aber an deutschen Universitäten bisher oft mangelhaft umgesetzt wurden.
In einer gemeinsamen Erklärung riefen die Kultusminister und die Hochschulrektoren die Studenten auf, ihre Streiks zu beenden. Es sei jetzt an der Zeit, "wieder zu einem geregelten Studienbetrieb überzugehen". Ziel der einschneidenden Korrekturen sei die Sicherstellung von Qualität und "Studierbarkeit" der neuen Studiengänge, heißt es in der Erklärung. Die Arbeitsbelastung der Studenten in den Bachelor-Studiengängen soll überprüft und auf ein "realistisches und vertretbares Maß" reduziert werden.
Weniger Belastung, weniger Prüfungen
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Im Gespräch war dabei eine 32- bis 39-Stunden-Woche einschließlich aller Vorlesungen, Seminaren, Übungen, Praktika und Selbststudium - bei 46 Studienwochen pro Jahr. Auch sollen nach den Vorstellungen der Kultusminister mehr Bachelor-Studiengänge als bisher statt sechs Semester nun auch sieben oder acht Semester dauern.
Zugleich sollen die Prüfungsbelastungen reduziert werden, in dem künftig nicht mehr als eine Prüfung pro Studienabschnitt (Modul) vorgesehen wird. Zwischen den Hochschulen soll die Anerkennung von Prüfungsleistungen "national und international vereinfacht werden", um die Mobilität der Studenten zu garantieren. Beide Forderungen entsprechen den bereits im Bologna-Prozess beschlossenen Eckdaten, sind aber bisher in Deutschland nur mangelhaft umgesetzt worden.
Generalüberholung statt Reparatur
"Der Erfolg des Bologna-Prozesses setzt gute Studienbedingungen voraus", heißt es in der von den Präsidenten der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Henry Tesch (CDU) und Margret Wintermantel ausgehandelten Erklärung. Beide Seiten wollten sich dafür einsetzen, dass das Ziel des Bildungsgipfels erreicht wird, zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung und Forschung aufzuwenden. Aus diesen Mitteln solle auch die Umsetzung des Bologna-Prozesses mit den Bachelor- und Masterstudiengängen vorangetrieben werden.
Der Beschluss der Kultusministerkonferenz ist mehr eine Generalüberholung als eine bloße Reparatur. Das 28-Seiten-Papier mit dem recht sperrigen Titel "Eckpunkte zur Korrektur der Ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Master-Studiengängen" bedeutet eine Neuausrichtung der Art und Weise, wie die vor zehn Jahren beschlossenen neuen Studienabschlüsse an deutschen Universitäten tatsächlich umgesetzt werden. Doch ob es die Kritiker und die protestierenden Studenten tatsächlich befriedigen wird, ist noch offen. Es kommt jetzt darauf an, wie schnell die Hochschulen die neuen Vorgaben auch wirklich umsetzen.
Inhalte der alten Studiengänge in die neuen gequetscht
Als sich 1999 in der italienischen Hochschulstadt Bologna die Bildungsminister zahlreicher europäischer und angrenzender Staaten auf eine gemeinsame Studienstruktur mit den aufeinander aufbauenden Bachelor- und Masterabschlüssen verständigen, stand ein Traum im Mittelpunkt: Die Vision von einem Studium ohne Grenzen und ohne Anerkennungsstreit um die an anderen Hochschulen zuvor erbrachten Leistungen. Über 40 Staaten haben inzwischen die Bologna-Erklärung unterzeichnet, 20 weitere wollen folgen. Doch vor allem in Deutschland ist dieser Traum inzwischen zum Albtraum geworden.
Denn penibler als in vielen anderen Staaten wurden in Deutschland die Studieninhalte modularisiert, die einzelnen Lehrveranstaltungen mit einem komplizierten Netz von Leistungspunkten überzogen und eine Fülle von zusätzlichen Zwischenprüfungen vorgeschrieben. An manchen Hochschulen wurden zugleich die Lehrinhalte der alten, meist zehnsemestrigen Diplomstudiengänge ohne weitere Abstriche und die notwendigen Anpassungen in das sechssemestrige Bachelor-Studium hineingequetscht. Die ausgeprägte Differenzierung und Spezialisierung der über 11.000 Studiengänge an deutschen Hochschulen tat ein übrigens. Inzwischen sind drei Viertel alle Studiengänge auf das neue System umgestellt.
Studenten wollen in den Master, aber nicht alle dürfen
Die Folgen: Studenten wie Dozenten klagen über Verschulung und Prüferitis. Bei vollgepackten Stundenplänen und Anwesenheitspflicht bleibt für die Finanzierung des Studiums durch Jobben nebenher kaum Zeit. Der Hochschulwechsel innerhalb Deutschlands ist wegen der starken Ausdifferenzierung der Lehre eher schwieriger als leichter geworden. Wer nach einem Auslandsaufenthalt sein Studium in Deutschland fortsetzen will, muss häufiger als früher mit seiner Hochschule über die Anerkennung der Scheine streiten, klagen Studentenvertreter.
Viele Studenten stoßen sich zudem am deutschen Sonderweg, den Hochschulen besondere Zulassungsrechte bei der Auswahl ihrer Master-Studenten zu überlassen. Viele fürchten, dass sie mit dem Bachelor allein kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, obwohl der Bachelor eigentlich der erste berufsqualifizierende Abschluss sein soll. Viele Fächer, vor allem Geisteswisssenschaften, haben diese Idee allerdings ignoriert und es versäumt, im Reformprozess auch die Berufsbilder zu definieren, für die sie ausbilden wollen. Die Angst, später nicht die Hürde auch ins weiterführende Masterstudium zu schaffen, befördert daher bei Studierenden häufig schon vom ersten Semester an Leistungsdruck, Ellbogenmentalität und Unsicherheit. Hier haben sich die Minister geeinigt, Hochschulen auch weiterhin die Zugangsbeschränkung zur Qualitätssicherung oder aus Kapazitätsgründen zu erlauben.
Rektoren sprechen von "chronischer Unterfinanzierung"
Die Kultusminister halten den Hochschulen allerdings vor, völlig unnötig fast alle Bachelor-Studiengänge auf sechs Semester begrenzt zu haben. Auch ihre früheren Eckpunkte hätten sieben oder achtsemestrige Bachelor-Angebote zugelassen, damit der Abschluss tatsächlich auch dem Kriterium "berufsqualifizierend" entspricht. Mit ihren neuen Vorgaben wollen sie die Arbeitsbelastung der Studenten massiv reduzieren: Das Studium müsse so organisiert werden, dass ein Student im Vollzeitstudium mit Vorlesungen, Seminaren, Übungen und Praktika nicht mehr als 32 bis 39 Stunden pro Woche beschäftigt ist – bei 46 Studienwochen im Jahr. Bei der Anerkennung und Akkreditierung der Bachelor-Studiengänge sollen die Hochschulen dies künftig "nachvollziehbar darlegen". Doch wie das überprüft werden soll, ist fraglich.
Die Hochschulrektoren haben den Schwarzen Peter an die Länder zurückgereicht: Ihre "Restriktionen" und "falschen Anreize", fehlende Rechtssicherheit und mangelnde Verlässlichkeit hätten zu stofflich überfrachteten Lehrplänen und zu anderen Fehlentwicklungen beim Bachelor-Studium geführt. Der Geldmangel, die seit Jahren chronische Unterfinanzierung der Hochschulen, sei Ursache für die vielen kurzen sechssemestrigen Bachelor-Studiengänge. Die Politik habe die Hochschulen massiv gedrängt, möglichst viele Studenten aufzunehmen, argumentiert Hochschulrektoren-Präsidentin Margret Wintermantel.
Studentenproteste haben ihrer Sache geholfen
Ohne die massiven Studentenproteste der vergangenen Wochen – so räumt mancher Hochschulrektor und Kultusminister ein – wäre kaum so schnell Bewegung in das System der gegenseitigen Schuldzuweisungen gekommen. In fast allen Bundesländern haben Hochschulen und Ministerien inzwischen Arbeitsgruppen eingesetzt, die zum Teil mit studentischer Beteiligung die Probleme jetzt überprüfen sollen. Als erstes Bundesland hat Rheinland-Pfalz zugleich zusätzliche Mittel für Tutorenprogramme und bessere Betreuung zur Verfügung gestellt. Auch im Bundesbildungsministerium wird an neuen Unterstützungsprogrammen gebastelt.
In Österreich ist derweil der Begriff "Audimaxismus" zum Wort des Jahres gewählt worden. Entstanden ist das Wort bei den seit Wochen dauernden Studentenprotesten, bei denen unter anderem der größte Hörsaal der Universität Wien – das Auditorium Maximum oder kurz: Audimax – besetzt wurde. Die Fachjury aus Professoren der Universität Graz begründete ihr Urteil damit, dass durch die Studentenbewegung erstmals seit langem wieder ernsthaft und umfassend über Bildung diskutiert worden sei, berichteten österreichische Medien.