Afghanistan: Eine Musikschule als Zeichen der Hoffnung
Amrudhin hat einen großen Wunsch. Der 14-Jährige aus Kabul will Sänger werden. Vor fünf Monaten hat der schmächtige Junge noch den ganzen Tag als Hilfsarbeiter in einer Auto-Werkstatt geschuftet. Nun geht er zur Schule und lernt dabei auch noch Gitarre zu spielen.
10.12.2009
Von Agnes Tandler

Amrudhin hat Glück, dass er einen Platz an der neu aufgebauten Musikschule gefunden hat. Laut Unicef  gehen nur etwa 60 Prozent der afghanische Kinder überhaupt in die Grundschule. Die Musikschule hat viel internationale Unterstützung erfahren. Das Auswärtige Amt sagte Mittel zu. Deutsche Instrumentenhändler haben Geigen, Klaviere, Gitarren und andere Ausrüstung gespendet. Die Bundeswehr hat alles nach Kabul transportiert.

Selbsternannte Gotteskämpfer verbrannten Instrumente

Amrudhin liebt Musik. Er singt gerne afghanische und indische Lieder. Und er hat ein Idol: Ahmed Zahir, die afghanische Antwort auf Elvis Presley. Der wohl bekannteste Sänger des Landes kam 1979 bei einem Autounfall am Salang-Pass um Leben. Selbst 30 Jahre nach seinem Tode ist der König der afghanischen Musik unvergessen.

Die radikal-islamischen Taliban verwüsteten später sein steinernes Grabmal auf dem Kabuler Friedhof Schuada-i-Salihin. Und nicht nur das Grab Zahirs, auch Platten, Aufnahmen und Musikinstrumente fielen ihnen zum Opfer. Die selbst ernannten Gotteskämpfer warnten die Menschen: Falls sie Musik hörten, werde ihnen am Tag des jüngsten Gerichts geschmolzenes Blei in die Ohren geschüttet. Und solange der Tag noch nicht gekommen war, nahmen es die Taliban selbst auf sich, Instrumente zu verbrennen und Musiker und jeden, der Musik liebte, zu verfolgen.

Traditionen leben wieder auf

Einer, der damals floh, ist Ahmed Sarmast. Der 47-Jährige leitet inzwischen die Musikschule in Kabul. "Unter den Taliban war das eine Art Koranschule," berichtet er. "Nachdem die Taliban 2001 besiegt worden waren, gab es weder eine Musikabteilung noch Musiklehrer hier." Nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs und der Schreckensherrschaft ist der Musikwissenschaftler für seine Herzenssache wieder in seine Heimat zurückgekehrt: Er will Afghanistans Musiktradition wiederbeleben. Der Wiederaufbau der Musikschule in Kabul soll ein wichtiger Schritt dazu sein. Sarmasts Familie lebt weiter in Australien, wo Sarmast an der Universität arbeitete. Wegen der schlechten Sicherheitslage möchten seine Frau und seine Kinder lieber nicht umziehen.

"Wir hören in den Medien nie etwas über positive Veränderungen in Afghanistan", ärgert sich Sarmast. "Während der Taliban-Zeit war alle Musik verboten, nun ist Musik wieder ein wichtiger Teil des Lebens. Das ist doch eine positive Wandlung." Die Musik, so wünscht sich Sarmast, solle die tiefen Wunden des Landes nach dem Ende des Taliban-Regimes heilen. Musik ist für Sarmast kein erlesenes Kulturerlebnis für einen kleinen, eingeweihten Kreis. Die Hälfte seiner Schüler kommt aus bitterarmen Verhältnissen, wie Amrudhin, der Gitarrenschüler. Manche sind Waisen und haben sich als Lumpensammler und Gelegenheitsarbeiter durchgeschlagen. Andere stammen aus Familien, die eine Schule nicht bezahlen könnten und ihre Kinder zum Arbeiten schicken, um das magere Haushaltseinkommen aufzubessern.

Traum von einem afghanischen Symphonieorchester

Die Musikschule nimmt Jungen und Mädchen auf - anders als viele andere Schulen in Afghanistan. Bisher hat sie 95 Schüler und 40 Schülerinnen. "Es ist schwierig gewesen, Mädchen zu gewinnen", sagt Sarmast. Eine davon ist die 13 Jahre alte Sughara, die bislang als Teppichknüpferin arbeitete und nun Geige lernt. Es hat wohl geholfen, dass auch ihr Bruder die Schule besucht. "Es ist ein schönes Instrument", sagte sie über ihre Violine. Was sie später einmal machen will, hat sie noch nicht entschieden. Singende oder musizierende Frauen sind in Afghanistan nur schwer vorstellbar. Wenn Sughara abends nach Hause kommt, knüpft sie weiter Teppiche, um ihre achtköpfige Familie zu unterstützen.

Viele Länder haben für den Aufbau und die Renovierung der Schule gespendet. Ihr neues Gebäude mit gut ausgestatteten Übungsräumen und eigenem Aufnahmestudio wirkt fast unwirklich perfekt in einer Stadt, deren Straßenbild von halbzerstörten Häusern und maroden Straßen mit bettelnden Frauen in blauen Burkas geprägt ist. Schulleiter Sarmast träumt von einem afghanischen Symphonieorchester. Die Kluft zwischen Traum und Realität könnte kaum größer sein in einem Land, in dem eine Schule mit funktionierender Heizung schon ein Fortschritt ist.

epd