Deutschlandradio erzielt Teilerfolg im Streit mit Piëch
Das Deutschlandradio darf weiterhin zwei Meinungsäußerungen verbreiten, die der Sachbuchautor Jürgen Grässlin in einem Interview über den VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch aufgestellt hat. Zwei weitere Aussagen seien allerdings falsche Tatsachenbehauptungen und dürften nicht mehr verbreitet werden, entschied das Oberlandesgericht Hamburg in einem Urteil vom 24. November, das jetzt bekanntwurde. Das Berufungsgericht hob damit ein Urteil des Landgerichts Hamburg auf. In der ersten Instanz hatte Piëch erreicht, dass alle vier Äußerungen per einstweiliger Verfügung untersagt wurden.

Grässlin, Autor einer Biografie über Piëch, hatte sich im September 2008 in einem Deutschlandradio-Interview geäußert. Der Radiosender publizierte das Gespräch anschließend unter dem Titel "Es ist Zeit, dass diese Herren abdanken" auf seiner Internetseite. Piëch störte sich unter anderem an der Aussage, er habe immer seinen Großvater Ferdinand Porsche überholen und "berühmter werden" wollen. Auch die Aussage Grässlins, Piëch wolle "sicherlich mächtigster Mann in Europa werden", wertete das Landgericht Hamburg als unzutreffende "innere Tatsachenbehauptung".

Dagegen entschied das Oberlandesgericht, bei diesen beiden Aussagen handele es sich nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern um zulässige Meinungsäußerungen. Piëch müsse die Aussagen, mit denen ein "Charakterbild" von ihm gezeichnet werde, auch dann hinnehmen, wenn sie seine wahren Wünsche und Absichten nicht zutreffend wiedergeben sollten. Grässlin habe "in pointierter Form" kritisch zu Piëchs Wirken als VW-Aufsichtsratschef Stellung genommen. Angesichts der Bedeutung des Vorgangs für die Öffentlichkeit überwiege das Berichterstattungsinteresse.

"30, 35 Vorstände auf dem Gewissen"

Erfolglos blieb die Berufung des Deutschlandradios in den anderen Punkten. So hatte Grässlin auch behauptet, Piëch sei "der deutsche Meister im Entlassen von Vorständen" und habe "mehr als 30, 35 Vorstände" auf dem Gewissen. Das Gericht entschied, hier greife die sogenannte Verbreiterhaftung, wonach Medien für unzutreffende Aussagen ihrer Interviewpartner haften, wenn "keine ausreichende Distanzierung" vorliege. Nach Auffassung der Richter wäre es dem Radiosender außerdem zumutbar gewesen, "bezüglich des Wahrheitsgehalts" der Aussage Recherchen anzustellen. Piëch hatte vor Gericht erklärt, in seiner Verantwortung seien nicht annähernd so viele Verträge durch Kündigung beendet worden.

Weil es sich um ein Eilverfahren handelte, ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts rechtskräftig. Das Deutschlandradio hat aber bereits ein Hauptsacheverfahren angestrengt, in dem die aufgeworfenen Rechtsfragen tiefergehend behandelt werden müssen. Dieses Verfahren beginnt im kommenden Jahr erneut beim Landgericht Hamburg. Die Frage der Verbreiterhaftung ist unter Juristen umstritten und wird von deutschen Gerichten bisher unterschiedlich gehandhabt.

epd