Kampf gegen Drogen führt zu Willkür wie zur Kolonialzeit
Valentina Rosendo ist 24 Jahre alt. Sie wurde als Minderjährige von Soldaten der mexikanischen Armee vergewaltigt. In den Bergen des Bundesstaates Guerrero ist sie kein Einzelfall. In Guerrero haben sich die Klagen über Menschenrechtsverletzungen alleine im laufenden Jahr vervierfacht. Gemeinsam ist all den Verbrechen eins: Die Behörden blieben untätig und die Taten ungesühnt.
08.12.2009
Von Matthias Knecht

Die stämmige Frau vom Volk der Me'Phaa kommt direkt zur Sache: Als Minderjährige wurde sie von Soldaten der mexikanischen Armee vergewaltigt, erzählt Valentina Rosendo (24) ohne die für Mexiko üblichen Umschweife. Wie ihr geht es vielen anderen Mädchen und Frauen ihres Volkes in den Bergen des Bundesstaates Guerrero. Doch Rosendo ließ sich nicht einschüchtern und erstattete Anzeige. Das war vor über sieben Jahren.

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"Früher hatte ich ein Haus, eine Familie und Tiere. Wir lebten von dem, was wir säten", sagt Rosendo. "Jetzt lebe ich alleine mit meiner Tochter in der Stadt und muss sehen, wie wir durchkommen." Die junge Frau strahlt die ruhige Bestimmtheit von jemandem aus, der nichts mehr zu verlieren hat. Auf ihre Anzeige reagierten Guerreros Behörden wie in solchen Fällen üblich mit Repression. Der Bundesstaat stellte die wenigen Subventionen für Schule und Gesundheitszentrum in Rosendos Dorf ein. Die Armee sandte weitere Truppen. Die Soldaten zwangen Rosendo mit vorgehaltener Waffe, Dokumente zu unterschreiben, deren Inhalte sie nicht verstand.

Arbeit, Familie und Heimat verloren

Schließlich wurde sie von ihrem Ehemann und ihrer Familie im Stich gelassen. Das von der Armee eingeschüchterte Dorf wollte sie loswerden. Rosendo zog nach Chilpancingo, der Hauptstadt Guerreros, wo sie sich seither als Haushälterin durchschlägt. "Zurückkehren kann ich nicht. Ich habe Angst", sagt sie.

Währenddessen kommt die Aufklärung nicht voran. "Es gibt keinerlei Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Die Täter blieben straffrei", sagt Rechtsanwalt Rogelio Teliz vom Menschenrechtszentrum Tlachinollan, das sich für die Rechte der Ureinwohner in Guerrero einsetzt. Dessen Dokumentation von Verbrechen der Armee liest sich wie ein Horrorbericht aus der Kolonialzeit. Vergewaltigungen, Verschwundene, illegale Hausdurchsuchungen, Morddrohungen gegenüber Indioführern und Folter durch Soldaten gehören demnach zur Tagesordnung in den Bergen Guerreros.

Kampf gegen die Drogen erschwert die Situation

"Guerrero ist einer der am stärksten militarisierten Staaten Mexikos", erklärt Carola Hausotter, die für die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko kürzlich einen Bericht über Südmexiko veröffentlichte. Verschärft wird die Situation durch den Kampf gegen die Drogen. 35.000 Soldaten setzte Präsident Felipe Calderón dafür ein, davon rund ein Sechstel in Guerrero.

Denn der drittärmste Staat Mexikos ist zugleich Hotspot des Drogengeschäfts. Seine 300 km lange Pazifikküste, an der auch der Badeort Acapulco liegt, ist beliebter Landepunkt kolumbianischer Drogenkuriere. Aus den schwer zugänglichen Bergen Guerreros stammt ein großer Teil der Schlafmohn- und Marihuana-Ernte des Landes.

Repression nimmt zu

Während Mexikos Erfolge gegen die Drogen bescheiden bleiben, hat die Repression gegen Indioführer und Menschenrechtler in Guerrero eine neue Qualität erreicht, klagt Hausotter. In dem Bundesstaat haben sich nach Angaben des Zentrums Tlachinollan die Klagen über Menschenrechtsverletzungen alleine im laufenden Jahr vervierfacht. Der militärische Antidrogenkampf Mexiko diene dabei als "Vorwand für mehr Repression". Trauriger Höhepunkt ist der Mord an zwei Indio-Führern in der Provinzstadt Ayutla im Februar dieses Jahres. Gemeinsam ist all den Verbrechen eins: Die Behörden blieben untätig und die Taten ungesühnt.

Anwalt Teliz' zufolge hat die Straflosigkeit System. Denn für Vergehen von Soldaten ist in Mexiko ausschließlich die Militärjustiz zuständig, die die Angeklagten in der Regel freispricht. Im Fall von Valentina Rosendo kam die Militärjustiz zum Schluss, dass keine Soldaten an der Vergewaltigung beteiligt sein konnten. "Militärs sind es, die über die Militärs richten. Das ist eine Verletzung der Verfassung und eine schwere Missachtung der Opferrechte", sagt Teliz. "Wir fordern, dass die zivile Justiz über Vergehen der Soldaten richtet."

Interamerikanisches Gerichtshof für Menschenrechte soll die Fälle 2010 behandeln

Die Hoffnungen Rosendos und vieler weiterer Opfer in Guerrero ruhen jetzt auf dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Als besonders exemplarischen Fall für das Versagen der mexikanischen Justiz wird die höchste Gerichtsinstanz des Kontinents wahrscheinlich kommendes Jahr den Fall Rosendo behandeln. Angeklagt ist der mexikanische Staat, wie in fünf weiteren Fällen auch. Die meisten haben mit Menschenrechtsverletzungen der Armee zu tun und stammen aus Guerrero.

Rosendo übt sich derweil in Geduld. "Meine Tochter fragt mich oft: Warum wohnen wir hier in der Stadt und nicht bei den Großeltern?" Die kämpferische Frau erwidert darauf: "Wir werden wieder zurückkehren in unser Dorf. Aber erst dann, wenn Gerechtigkeit herrscht."

epd