Adventsserie (4): Es war kein Raum in der Herberge
Am Anfang steht der Asylantrag. Wer als Flüchtling in Deutschland "ankommen" will, braucht einen langen Atem und starke Nerven. Denn das Warten kann Menschen verrückt machen.
08.12.2009
Von Burkhard Weitz

Woher der tiefe Riss in Abiodun Divines* rechtem Unterarm kommt? Mit einem abgeschlagenen Flaschenhals hätten geprellte Gläubiger der Pennywise Wonderbank Ibadan, Nigeria, ihn verletzt, sagt der 17-Jährige. Weil er ihnen als Mitarbeiter Riesengewinne versprochen habe, dann aber die Bank pleiteging. Abiodun habe sich Flugtickets und ein Visum nach Malaysia besorgt. Beim Zwischenstopp in Deutschland vor 68 Tagen holte ihn die Polizei aus dem Flieger. Die Papiere waren falsch. Er kam in ein Haus auf der anderen Seite des Flugfeldes: Hessische Erstaufnahmeeinrichtung, Außenstelle Frankfurt am Main.

John Okhizeubma, 19, sagt, er sei Sohn eines Gemeindeanführers im Nigerdelta. Ein Italiener namens Mr. Terry habe ihn vor Aufständischen schützen und nach Europa mitnehmen wollen. Falsche Dokumente – die Polizei fing ihn beim Umsteigen in Frankfurt vor 49 Tagen ab. Tony Henry Orikine, 24, Politikersohn aus dem Nigerdelta, sagt, auch er sei vor Rebellen geflohen. Jemand habe ihm einen britischen Pass und ein Visum nach Irland verkauft. Das Passbild war nicht seins, die Polizei in Frankfurt bemerkte es. Das war vor 41 Tagen. Nun sitzt er mit verschränkten Armen am Tisch, das Kinn auf der Brust, die Beine schlagen nervös hin und her.

Im Zeitloch gefangen

Die knarzige Stimme verrät, dass er wenig schläft. John vergräbt sein Gesicht in seinen Armen, Abioduns Kopf lehnt gegen die Wand, er ist eingenickt. Ein nettes Haus, sagt Tony, diese Erstaufnahmestelle. Ärzte und Sozialarbeiter kümmern sich, Wärter schließen den Kraftraum auf, ein Trainer spielt mit ihnen draußen im Hof Fußball.

Am Anfang steht der Asylantrag. Nach zwei Tagen Anhörung, vier Stunden – "ohne Rechtsbeistand", klagt Tony. Widerspruch per Eilantrag. Nach 14 Tagen lehnt ein Verwaltungsgericht ab. Nach 30 Tagen wird "Haft im Hause" angeordnet. Die Einreisepapiere aus Nigeria sind inzwischen da. Abiodun, John und Tony können "zurückgeführt" werden – mit einem Haufen Schulden: 81 Euro pro Tag in der Einrichtung berechnen die Behörden, dazu Kosten für Anwalt und Dolmetscher.

Dafür nun die ganze Warterei: morgens aufstehen, frühstücken, etwas spielen, Mittagessen aus Alubehältern, abhängen, abends Brot und Käse, nachts ins Vierbettzimmer. Sie starren auf den Innenhof, gucken fern, versuchen zu schlafen, sehen Asylbewerber aus Sri Lanka und Eritrea einziehen und nach drei Tagen Richtung Gießen weiterziehen. Sie sind im Zeitloch angekommen. "Der Tag dreht sich und dreht sich", sagt Tony, eine Frau aus Nigeria sei verrückt geworden. Er wolle Geld verdienen, aber kein geistiges Problem bekommen. 

*Namen von der Redaktion geändert