Wenn Uwe im September anruft, will niemand mit zur "Vätternrundan". 300 Kilometer Rad fahren, in einem Stück um den schwedischen Vätternsee? Eine ganze Nacht und den halben Tag auf dem harten Sattel? Nein, Uwe, diesmal nicht. Aber Uwe ruft auch im Oktober an, im November wieder, und wenn kurz vor Weihnachten die Startplätze knapp werden, hat er sechs, sieben Verrückte zusammen.
Alle paar Jahre lasse ich mich überreden, im Juni geht es los, kurz vor Mittsommer. Als Erster komme ich nicht ins Ziel, klar. Außer mir sind noch fast 20.000 Mitfahrer da, darunter viele Halbprofis. Die holen mich ein, auch wenn sie Stunden nach mir starten. Wie eine riesige Biene hören sie sich an, wenn sie heranrauschen, lauter schmale Rennreifen auf Asphalt. Die sind im Windschatten,wenn es unsere Gruppe schon zerlegt hat, weil Cordt mehr Pausen macht, während Uwe und Olaf immer besonders ehrgeizig sind.
Alle sollen es erfahren
Aber ein Platz im Mittelfeld, das ist was, dafür quäle ich mich. So auch beim letzten Mal,im Juni 2008. Nach 200 Kilometern bin ich fertig, frage mich: Warum muss ich da Pinkelpause machen, wo mir Dornen in den Nacken piksen? Aber hinter mir ist kein Busch, das sind verwirrte Nervenenden, die signalisieren: Hör auf! Ich fahre weiter, bloß nicht im Besenbus ins Ziel kommen! Ich male mir aus, wie mich die Massen beim Namen rufen. Und natürlich wird der schwedische Sportjournalist, der spontan Neuankömmlinge auf eine Bühne zerrt, in diesem Jahr mich interviewen.
Dass es alle hören. Die Wahrheit ist: Kurz vorm Ziel kommt der Regen, die letzten Kilometer führen durch ein Industriegebiet, kein Mensch an der Strecke, und der Sportjournalist ist Kaffee trinken. Nur mein Zeitmesschip piepst, als ich um 16 Uhr über die Zielmatte rolle. Seit Mitternacht bin ich unterwegs, aber das interessiert – niemanden. Schnell duschen, zur Massage, und ab auf die Isomatte in der Turnhalle, Olaf ist schon da, Uwe auch, Cordt kommt nach einer halben Stunde.
Wir warten. Auf Biggi und Conny, sie sind das erste Mal dabei und haben kaum trainiert. Ich bin schon längst eingedöst, als sie vor uns stehen, um 23 Uhr, strahlend. "Wir sind Letzte geworden, und morgen sind wir im schwedischen Fernsehen!" Die Menschen im Zielort Motala hatten Fackeln am Straßenrand aufgestellt. Ein Kameramann hat alles gefilmt, und der Sportjournalist hat sie interviewt. Wenn Uwe wieder fragt, sage ich gleich ja – und werde Letzter.