Aha, der Parkplatz des Kollegen D. ist noch frei. Er wird wohl gerade im Sekretariat angerufen haben: "Bin unterwegs." Ich habe diesen Satz immer als Urbeginn aller Theologie verstanden: unterwegs zu sein. In dieser Stunde will ich etwas anderes: ankommen, an meiner Arbeitsstelle. Aus der Rezeption klingt ein freundliches "guten Morgen!". Ein Kollege aus dem Erdgeschoss läuft sehenden Auges mitten durch mich durch, ohne ein Wort zu sagen.
Gott sei Dank, kommt ein anderer gleich hinterher, der ein paar Neuigkeiten aus der Welt der Religionen bereithält. Der Verlagskoloss lebt. Die Zeiten sind vorbei, in denen Praktikanten die Geschirrspülmaschine ausräumen. Das ist nun die Aufgabe von leitenden Redakteuren. Man lernt dabei zugleich, mit wem man nie im Leben in eine WG ziehen würde.
Dann den Rechner hochfahren. Caffè Latte zapfen. Mails löschen, die mit Penisverlängerung und Diät zu tun haben, mit Armbanduhren und Jobangeboten – obwohl die immer interessanter werden in Zeiten zunehmender Sparrunden.
"Leser Meier wertschätzen"
Zeitung lesen: "Bild" in 30 Sekunden, 15 Minuten für die "Süddeutsche", acht bis zehn für die "Taz". Schon zu Hause waren im Briefkasten drei Frankfurter Blätter, kostenlos gesteckt von einer netten Zeitungsausträgerin. Nun schweift der Blick über zwei Riesenfotos, aufgenommen im Botanischen Garten von Göttingen, ein Nebenprodukt zu Recherchen über die "Göttinger Sieben".
Er schweift über die Kaffeeränder auf dem Schreibtisch, die die Putzfrau mal wieder nicht weggewischt hat. Er schweift über einen Stich von Sanssouci und – über den Tageskalender. Da sammeln sich Stichworte wie: "Kommentar Zivis. Hedwig anrufen. Käßmann mailen. Geburtstag Michael. Termine Schauspiel. Themen Herausgeber. Besuch Eikon. Clos wg. Ratsmitgliedern fragen. Illus Sekten. Hotel und Bahn Ulm. Leser Meier wertschätzen. Leserfragen beantworten. Autorisierung Herms??? Honorar C. Keller." Der Arbeitstag kann beginnen.