"Gelegenheit, der Gesellschaft etwas zurückzugeben"
Die "Streichelbande" aus München ist ein Münchener Verein von Hundefreunden, die mit ihren Haustieren in Seniorenheime, Behinderteneinrichtungen, psychiatrische Tagesstätten, Kindergärten und Schulen gehen. Sie wollen den Genuss der Anwesenheit ihrer Haustiere auch anderen ermöglichen, vor allem den Menschen, die wegen ihrer Lebenslage keine eigenen Hunde haben können.
07.12.2009
Von Bettina Scriba

Ein riesengroßes Hallo ist es, als am Mittwochnachmittag zehn Frauchen und Herrchen mit ihren Hunden die Halle des Münchner Förderzentrums (MFZ) betreten. Die Streichelbande ist da. Heute sind sie im MFZ, eine kombinierte Förderstätte und ein Wohnpflegeheim für körper- und mehrfach behinderte Menschen mit infantilen Cerebralparesen (frühkindliche Hirnschädigungen) und anderen neuroorthopädischen Erkrankungen vereint.

Dem Hundebesuch entgegenfiebert

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Klaus Bellan lebt und arbeitet in dieser Münchner Einrichtung. Er leidet an Friedreichscher Atoxie, einer degenerativen Erkrankung des zentralen Nervensystems. Mangelnde Koordination und ein fehlerhaftes Zusammenspiel verschiedener Muskelgruppen sind die Krankheitsmerkmale. Seit 1990 sitzt er im Rollstuhl. Dem heutigen Besuch der Streichelbande hat er schon entgegen gefiebert. Jetzt, wo die Hunde da sind, strahlt er: "Ja, es ist ein toller Nachmittag. Die Hunde darf man streicheln, wenn sie herkommen. Das Fell fühlt sich gut an", schwärmt er.

Der 52-Jährige mag alle Hunde gleich gerne und kennt ihre Namen. Ab und zu nimmt er auch einen Hund auf den Schoß. Bevorzugt er große oder kleine Hunde? "Kleiner ist mir lieber am Schoß als groß", sagt er und lacht. In der Förderstätte töpfert Bellan Figuren. "Da brauche ich für die Figur fünf Wochen". Derzeit lackiert er Engel für Weihnachten.

"Der Gesellschaft etwas zurück geben"

Sven Gottschalk, 38, ist an diesem Tag zu Besuch im Münchner Förderzentrum. Seit Januar 2009 ist er Mitglied der Streichelbande, seit Februar geht er regelmäßig mit seiner Hündin Maya in ein Altenheim. Aufgrund mehrerer Augenerkrankungen verlor er seine Sehkraft. Bis 1995 konnte er noch ein bisschen sehen, mittlerweile ist er komplett blind. Seine Mischlingshündin Maya (eine Mischung aus Hovawart und Labrador) ist ein ausgebildeter Blindenführhund und 14 Jahre alt. Seit November 1998 ist sie rund um die Uhr bei Gottschalk. "Sie ist gut ausgebildet. Sie sucht Ampeln und Zebrastreifen, kann ganze Wegstrecken auswendig lernen, zeigt freie Sitzplätze an und findet Geldautomaten."

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Warum engagiert er sich, trotz eigener Behinderung, für die Streichelbande? "Ich finde das Projekt von der Idee her einfach wunderbar. Das ist auch eine Möglichkeit, wo Blinde oder Leute, die selbst eine Behinderung haben, gut mitmachen und gleichberechtigt in der Gesellschaft auftreten können." Und er fügt hinzu: "Ich als Blinder erwarte mir von der Gesellschaft auch Hilfe, wenn ich mich mal in einer fremden Stadt nicht auskenne. Das ist für mich halt die Gelegenheit, der Gesellschaft wieder ein bisschen was zurückzugeben."

Herausforderung für den Blindenführhund

Einmal pro Monat, manchmal auch öfter, verbringen Maya und er 45 bis 90 Minuten im Altersheim. Maya kennt den Weg dorthin. "Maya ist mein GPS auf vier Pfoten", scherzt Gottschalk. Für die folgsame Hündin bedeuteten die Besuche eine große Umstellung. "Anfangs war es natürlich ungewohnt, da es vollkommen gegen die normale Erziehung eines Führhundes geht. Sie soll nicht von fremden Leuten gestreichelt werden, das würde sie ablenken." Und das könnte fatale Folgen für Sven Gottschalk haben, der auf seine Hündin angewiesen ist. Nach zwei-, dreimal habe sie sich daran gewöhnt. Auch Sven Gottschalk genießt die Besuche: "Für mich ist es eine Freude, mit den älteren Herrschaften zusammen zu sitzen und mich mit denen zu unterhalten. Und wenn sie nebenher auch noch den Hund streicheln können, ist das okay. Ich freue mich da eigentlich immer drauf. Es ist wie zu guten Freunden zu kommen."

Alle Behinderten genießen den Besuch der Streichelbande. "Es hat so viele Vorteile für den Kopf und für den ganzen Organismus, dass die Hunde kommen. Es ist ganzheitlich", erklärt Kathleen Müller, Heilerziehungspflegerin. Sie arbeitet im MFZ. Vor vier Jahren hörte sie von der Streichelbande und fragte nach, ob sie nicht auch mal zu ihnen kommen können. Seitdem kommt die Streichelbande alle 14 Tage ins Haus. Die große Halle bietet genügend Platz für die Begegnung. "Wir treffen uns hier als Gruppe. Dass Behinderte auf nicht Behinderte treffen, ist eine tolle Sache". Hier wird die Integration in das normale, nicht behinderte Leben, Realität.

Für manche eine Beruhigung, für andere anregend

Im Förderzentrum wird versucht, den Bewohnern ein normales Leben zu bieten. Sie nehmen nur so viel Hilfe in Anspruch, wie sie wirklich brauchen. "Unsere Bewohner sind zu stark behindert und brauchen zu viele Therapien, um in der freien Wirtschaft zu arbeiten." Der Besuch der Streichelbande bietet alle zwei Wochen eine willkommene Abwechslung. Kathleen Müllers Bernersennenhund Olga ist auch immer dabei.

Müller arbeitet seit acht Jahren im Förderzentrum und beobachtet immer wieder, wie unterschiedlich die Bewohner auf die Hunde und ihre Begleiter reagieren: "Für einige ist es eine Beruhigung, den Hund auf dem Schoß zu haben. Andere erwecken zum Leben: 'Au ja, der Hund kommt!' In dem Moment ist es so ein aufmerksam werden." Ein anderer richte sich vor lauter Freude im Rollstuhl auf und kann endlich einmal richtig tief Luft holen. "Es ist ganz wichtig die Hunde anzufassen und Leckerchen zu geben, wenn sie Sitz und Platz machen. Wichtig ist es auch mit Frauchen und Herrchen zu kommunizieren, da haben sich neue Bekanntschaften gebildet." 


 

Bettina Scriba ist freie Journalistin aus München und schreibt für evangelisch.de.