"Manchmal sind es einzelne, unvorhersehbare und dramatische Momente, in denen sich außergewöhnliche Hilfsbereitschaft zeigt. Ich denke an die Eheleute aus Prag, die heute unter uns sind." Charlotta Ripplová, eine elegante Dame mit Hut und Handschuhen, lächelt, als Bundespräsident Horst Köhler diese Worte spricht. Die Übersetzerin in der Reihe hinter Ripplová flüstert ihr Köhlers Worte auf Tschechisch ins Ohr. Mit bescheidenem Stolz sitzen Charlotta und ihr Mann Jan Rippl im Großen Saal von Schloss Bellevue. "Die beiden haben im Spätsommer 1989, als Tausende vor der deutschen Botschaft in Prag ausharrten, DDR- Flüchtlingen mutig ihr Haus geöffnet und sie mit Unterkunft und Essen versorgt", sagt der Bundespräsident und überreicht ihnen den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.
"Es waren Menschen ohne Vergangenheit und ohne Zukunft"
Charlotta Ripplová erinnert sich an ihren ersten Gast, eine schwangere Frau. Wer danach noch Zuflucht in ihrem Haus gegenüber der Deutschen Botschaft fand, weiß das Ehepaar heute nicht mehr. Es herrschte Chaos. Das Haus sei schlicht voll gewesen. "Wie viele es waren, können wir nicht sagen." Auch auf den Treppen saßen Menschen. "Und was sie brauchten, war simpel", sagt Jan Rippl, "Toiletten, Wasser, ein Dach über dem Kopf." Kontakt zu ihren Gästen von damals haben sie nicht mehr. Einen Brief hätten sie mal erhalten. Und ein Mann kam Jahre später vorbei, um einen Wintermantel zurückzugeben. "Es war eine kurze Episode", erinnert sich Jan Rippl an den Herbst 1989. Sein Ton ist bescheiden.
Charlotta Ripplová ist Linguistin. Sie und ihr Mann sprechen sehr gutes Englisch, aber kein Deutsch. Deshalb konnten sie damals kaum mit ihren Gästen sprechen: "Wir kannten ihre Geschichten nicht." Ihr Mann fügt hinzu: "Es waren Menschen ohne Vergangenheit und ohne Zukunft." Angst um sich selbst hatte das Paar nicht. "Wir hatten Angst mit unseren Gästen, um sie", erinnert er sich. Die Gefahren waren ihnen bekannt. "Schließlich lebten auch wir unter diesem Regime." Hin und wieder fürchteten sie die Blicke der Nachbarn.
Mit dem Orden schließt sich der Kreis
Als Köhler den Eheleute die Orden überreicht, stehen sie für einen kurzen Augenblick im Blitzlichtgewitter der Kameras. Dann setzen sie sich wieder auf ihre Plätze in der ersten Reihe. Charlotta Ripplová steckt sich den Orden an und signalisiert ihrem Mann per Handzeichen, er solle ihr folgen.
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20 Jahre sind vergangen. Wenn das Ehepaar zurückblickt, scheint es, als wären die Tage vor dem Mauerfall auch für sie ein Neuanfang gewesen. "Wie ich meiner Frau heute Morgen sagte - es ist ein Kreislauf." Aus ihrem 500 Jahre alten Haus haben sie mittlerweile ein kleines Hotel gemacht. Damals war das vierstöckigen Haus noch unrestauriert, manch ein Obdachloser hauste dort. Nur ihre Wohnung war ausgebaut. Heute betreiben die Eheleute ihr "Bed and Breakfast" gemeinsam mit ihren beiden Söhnen. "Und hier schließt sich der Kreis - nun sind wir in Deutschland."
Anlässlich des Internationalen Tags des Ehrenamts am 5. Dezember ehrte Köhler am Freitag weitere 13 Frauen und 12 Männer mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für ihr ehrenamtliches Engagement - im sozialen Bereich, für die Umwelt oder in Interessengruppen.
Öffentliche Anerkennung des wichtigen Ehrenamtes
Der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland wurde 1951 vom damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss gestiftet. Der Verdienstorden ist die einzige allgemeine Auszeichnung und die höchste Anerkennung, die Deutschland für Verdienste um das Gemeinwohl ausspricht. Er kann für politische, wirtschaftlich-soziale und geistige Leistungen sowie für besondere Verdienste um die Bundesrepublik verliehen werden. Erst seit 1996 wird der Orden nicht nur am Tag der deutschen Einheit, sondern auch am Tag des Ehrenamts, dem 5. Dezember, verliehen. Bundespräsident Roman Herzog führte diesen Termin ein, der inzwischen Tradition hat, so heißt es in der Broschüre zum Verdienstorden: "Er soll eine deutliche öffentliche Anerkennung der für unsere Gesellschaft so wichtigen ehrenamtlichen Leistungen erreichen."
Den Verdienstorden gibt es in acht Stufen - von der einfachen Verdienstmedaille und dem Bundesverdienstkreuz am Bande bis zur Sonderstufe des Großkreuzes. Die Auszeichnung kann nur vom Bundespräsidenten verliehen werden. Dieser überreicht das Bundesverdienstkreuz aber nur selten persönlich, meist wird das Staatsoberhaupt durch einen Minister oder Bürgermeister vertreten. Jeder Bürger kann einen anderen für den Verdienstorden vorschlagen, nicht aber sich selbst.
Seit 1951 wurde der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland etwa 240.000 Mal verliehen. Im vergangenen Jahr gab es 2.475 Ordensverleihungen, davon 1.703 an Männer und 772 an Frauen. Der seit Jahren steigende Frauenanteil erreichte 2008 mit 31,2 Prozent einen neuen Höchststand.