Illegal in Frankreich: Ein Leben in Angst
Zwischen 200.000 und 400.000 Menschen leben illegal in Frankreich. Präsident Nicolas Sarkozys Immigrationspolitik sieht vor, jedes Jahr mindestens 25.000 von ihnen auszuweisen. Doch er hat versprochen, in Ausnahmefällen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn die illegalen Arbeitskräfte dringend von ihren Chefs gebraucht werden.
03.12.2009
Von Martina Zimmermann

Die fliegenden Händler unterm Eiffelturm leben meist illegal in Frankreich. Der 29-jährige Dina l. verkauft Souvenirs - Feuerzeuge und Baseballmützen mit dem Pariser Wahrzeichen. Bei Regen hat der Inder zudem Regenschirme im Angebot, scheint die Sonne, bietet er Schirmchen an, die man wie eine Haube auf den Kopf setzen kann. An guten Tagen verdient er bis zu 50 Euro. Doch das Risiko für ihn und die anderen Souvenirhändler am Fuß des Eiffelturms ist groß. Die meisten sind Ausländer, die illegal in Frankreich leben. "Wo viele Touristen sind, ist auch viel Polizei", erklärt Dina. Die fliegenden Händler leben in ständiger Angst vor Abschiebung, haben weder Bankkonto noch Krankenversicherung.

"Ich sah sie vor Angst weinen"

Auch Ishvar K. (25) verdiente seinen Lebensunterhalt sechs Jahre lang auf diese Weise, stand bis spät in der Nacht mit seiner Ware unter dem Eiffelturm. Die Touristen kommen auch am Abend, um zu erleben, wie "die alte Dame von Paris" zu jeder vollen Stunde glitzert. Auch Ishvar K. hatte keine Papiere. "Ich konnte es mir nicht leisten, dieses Leben leid zu sein", erzählt er im Rückblick. "Essen, ein Zimmer - das kostet in Paris viel Geld." Die meisten seiner Kumpels leben zu mehreren in winzigen Wohnungen, für die sie skandalös hohe Mieten zahlen. Denn die Illegalen sind leichte Opfer für Mietwucherer, die Zimmer in baufälligen Gebäuden für teures Geld vermieten. Ishvar hatte Glück: Er verliebte sich in eine Französin, zog zu ihr, das Paar hat heute ein gemeinsames Kind.

Seine Lebenspartnerin Dominique L. berichtet vom Alltag der fliegenden Händler: "Ich sah sie vor Angst weinen - Kinder im Alter von 13 Jahren am Eiffelturm, die im Winter vor Kälte frieren." Denn auch Kinder laufen den ganzen Tag mit ihrer Ware herum, auch sie werden von der Polizei verfolgt. "Die Polizei macht ihre Arbeit", meint Ishvars Freundin, "aber für die Kleinen ist es doch sehr hart."

Sehnsucht nach Freiheit

Es gibt Illegale, die - anders als die Inder unter dem Eiffelturm - mit falschen Papieren arbeiten und sogar Sozialabgaben oder Steuern zahlen. Diese sogenannten "sans-papiers" (ohne Papiere) fordern immer wieder "Papiere für alle", mit politischen Aktionen wie Hungerstreiks und Demonstrationen.

Als Vater eines französischen Kindes bekam auch Ishvar K. inzwischen eine Aufenthaltserlaubnis. Er fand sogar einen Job in einem Pariser Amt. Ob er es je bereut hat, aus Indien weggegangen zu sein? Ishvar K. versteht die Frage nicht, obwohl er passabel Französisch spricht. "Warum wolltest du weg aus dem Punjab?", fragt seine Lebensgefährtin nach. "In meiner Heimat hatte ich nicht viel Geld", erklärt Ishvar K.. Der Inder schätzt in der französischen Metropole auch die Freiheit von den Zwängen seines Dorfes. Er gehört zur Religionsgemeinschaft der Sikhs, trägt aber keinen Turban, sondern einen modischen Haarschnitt.

Die Familie glaubte ihn tot

Nur ungern erzählt der 25-jährige von seinem Lebensweg. Seine Freundin berichtet, was er ihr erzählt hat: wie er mit 19 Jahren mit Menschenhändlern über Russland nach Europa kam. "Er hat zu Fuß Wälder im Schnee durchquert, manche seiner Kameraden starben vor Kälte", erzählt Dominique.

Seine Familie in Indien blieb ein Jahr lang ohne Nachricht und glaubte ihn tot. Er schaffte es schließlich über Österreich nach Paris. In der Sikh-Gemeinschaft fand er Hilfe, Unterkunft, Kleidung, Nahrung. Seit Ishvar eine Aufenthaltserlaubnis bekommen hat, kann er endlich wieder nach Indien reisen. Nach sieben Jahren sah er seine Mutter wieder und stellte ihr die französische Schwiegertochter und den französischen Enkel vor. Dominique wurde im Dorf begeistert aufgenommen. Ishvars Geschichte hat vorläufig ein glückliches Ende gefunden. Dina I. hingegen hat die Nase voll vom Leben als Illegaler. "Ich will nach Hause zu meiner Familie", sagt der 29-Jährige.

epd