"Viele Menschen mit Behinderung sind ungeheuer kreativ. Aber sie arbeiten oft im Verborgenen. Das wollen wir ändern", sagt Bea Gellhorn. Sie ist Geschäftsführerin der Online-Galerie Insider Art. Mehr als 150 Menschen mit Behinderung stellen auf dieser Seite im Internet ihre Werke aus und bieten sie zum Verkauf an. Ein erfolgreiches Projekt. Pro Monat besuchen etwa 11.000 Menschen die Galerie und klicken sich durch die verschiedenen Kunstwerke; vor allem Gemälde, aber auch Kunstfotos, Zeichnungen oder Skulpturen.
Für viele der Künstler bedeute die Möglichkeit der Präsentation Anerkennung ihres Schaffens, Lebensfreude und Zugehörigkeit, sagt Gellhorn. "Und uns schenkt diese Kunst, wenn wir uns für sie öffnen, umgekehrt Eindrücke und Erkenntnisse, zu denen wir sonst keinen Zugang hätten, würden diese Künstler nicht über ihre Kunst mit uns kommunizieren."
Keine Outsider Art
Mit dem Begriff "Insider Art" grenzt sich das Online-Angebot bewusst von einem Kunstbegriff der 70er Jahre ab. Unter dem Schlagwort der "Outsider Art" wurden damals Werke von Künstlern mit geistiger Behinderung oder von psychisch kranken Menschen bekannt. "Insider Art" differenziert nicht nach der Art einer Behinderung und auch sonst gibt es eigentlich keine Einstiegshürden. Jeder, der eine Behinderung hat, kann seine Werke in der Online-Galerie ausstellen lassen. Was Kunst ist, entscheidet der Betrachter dann letztlich selbst. "Und jeder findet bei uns etwas, das ihn anspricht", sagt Gellhorn überzeugt.
Anders als die Avantgarde-Bewegung des 20. Jahrhunderts attackiert Insider Art Gellhorns Ansicht nach nicht das "bürgerliche Kunstverständnis". Vielmehr gehe es darum, Menschen für neue Aspekte des Lebens zu öffnen, Menschen zu verbinden und auch zu integrieren. Die Kunst behinderter Menschen konfrontiere den Betrachter mit elementaren Fragen des Lebens, sagt Gellhorn. "Es geht um den Umgang mit einem Makel, Imperfektionismus, Toleranz, Ausgrenzung und Brüche im Leben." Die Insider Art lenke den Blick auf die "Fragilität des Seins" und die "trügerische Sicherheit bestehender Systeme".
Politisches Projekt
Zugleich ist das Projekt für sie ein politisches. "Insider Art hinterfragt Werte und Haltungen im gesellschaftlichen Miteinander." Und nicht zuletzt sei die Online-Galerie auch ein ganz praktisches Beispiel zur Umsetzung der im Frühjahr ratifizierten UN-Konvention zur Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung, sagt sie. "Bei uns bekommen Menschen mit Behinderung nämlich die Möglichkeit, mit ihrer Kunst ernstgenommen und sichtbar gemacht zu werden. Und zwar nicht im Ghetto, sondern mitten in der Gesellschaft, wie die Besucherzahlen unseres Portals beweisen."
Die Online-Galerie will zudem nicht nur Ausstellungsplattform sein. Ziel sei es auch, den Künstlern Zugang zu Wissen und zum Kunstgeschehen zu eröffnen. "Nur so entsteht überhaupt die Chance auf ein möglichst selbstbestimmtes Arbeiten und Leben als Künstler und möglichen Erfolg." Insider Art sorgt für Vernetzung, Beratung, Information und bemüht sich auch darum, behinderte Künstler und ihre Anliegen gesellschaftlich und politisch zu vertreten.
Sponsoren springen ab
Sorgen macht Gellhorn allerdings, dass im Zuge der Finanzkrise Sponsoren ihre Mittel kürzen oder ganz von dem Projekt abgesprungen sind - vor allem der inzwischen insolvente Arcandor-Konzern. Ein Büro hat Gellhorn für ihre Arbeit daher nicht, mit ihrem Team trifft sie sich zu Besprechungen in Cafés oder anderen "netten Plätzen". Nur barrierefrei müssen die Treffpunkte sein, einer von Gellhorns drei Mitarbeitern sitzt im Rollstuhl. Um sich weiter finanzieren zu können, wirbt das Team derzeit aktiv um Spenden. Unter anderem bei Banken, "die die Krise schließlich mit verursacht haben". "Rückzug aus gesellschaftlicher Verantwortung ist gerade jetzt das falsche Zeichen", findet Gellhorn und hofft, auch in Zukunft das Projekt Insider Art fortsetzen zu können.
Insider Art: Einige Kunstwerke
(die Texte zu den Bildern stammen von der Insider Art Galerie)
Thomas Nick, Erschreckermasken
"Ich versuche bei meinen Zeichnungen noch mehr als bei meiner Malerei das Unbewusste 'anzuzapfen'", sagt der Zeichner Thomas Nick. "Schon seit frühester Kindheit male ich mit Vorliebe Gesichter. Gesichter, die gezeichnet sind von dem, was sie erlebt haben. Meine Großmutter sagte früher einmal zu mir, ich sollte doch nicht immer solche 'Fratzen' zeichnen, sondern etwas nach ihrer Vorstellung Schönes. Ich kann es bis heute nicht lassen...."
Markus Georg Reintgen, Utah Beach
Der Inbegriff der „gefühlten“ Welt des Künstlers, das Meer ist sichtbar, nah und doch unerreichbar, ist die Arbeit longest days (utah beach) des Fotokünstlers Markus Georg Reintgen. Diese stille, poetische Arbeit, konfrontiert eindringlich und unausweichlich mit dem Gefühl der Ausgrenzung – fernab von allen Klischees der Behinderung.
Karin Birner, Die müde Frau
Die freischaffende Künstlerin lebt in Nürnberg und hat bereits an zahlreichen Ausstellungen in ganz Deutschland teilgenommen. Die Themen Karin Birners Werke kreisen um die seelische Verletzlichkeit des modernen Menschen, ausgehend von eigenen Erfahrungen. Oft keine leichte Kost, aber eindrucksvoll und berührend ehrlich.
Ilka Vogel, Nebel
Die Arbeit "Nebel" von Ilka Vogel zeigt zart geflochtene Farbgewebe, die sich jedem rationalen Entschlüsselungsversuch entziehen, aber uns einen sinnlichen Zugang schenken.. Man fröstelt ein wenig im Novembernebel. Und doch scheint er sich schon zu lichten. Ilka Vogels positive Lebenseinstellung scheint in allen ihren Arbeiten zaghaft, aber unbeirrt durch.
Spenden: Der Verein Insider Art, der die Online-Galerie betreibt, freut sich über Spenden. Deutsche Bank, BLZ: 100 700 24, Konto: 7 556 558.
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Kultur und Medien.