Von Medien vorab verurteilter "Kindesmörder" unschuldig
Sein Foto stand in fast allen spanischen Zeitungen. Es zeigte den jungen Diego in Handschellen und mit gesenktem Blick auf dem Weg zum Haftrichter. Dem 24-jährigen Spanier wurden grausame Verbrechen zur Last gelegt.
30.11.2009
Von Hubert Kahl

Er soll die dreijährige Tochter seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht, dem Mädchen die Haut verbrannt und es verprügelt haben, hieß es. Die Kleine war vor einer Woche schwer verletzt in ein Krankenhaus auf der Kanaren-Insel Teneriffa gebracht worden und am Donnerstag gestorben. Über Diego ergoss sich eine Welle des Hasses und der Empörung.

Nun stellte sich heraus, dass der junge Mann komplett unschuldig ist. Die Gerichtsmediziner stellten nach Untersuchung der Leiche des Kindes in einem Gutachten fest, dass es keinerlei Hinweise auf sexuellen Missbrauch gebe. Die schweren Verletzungen, die die Kleine aufwies, gingen nicht auf Misshandlungen zurück. Die Kleine habe sich vielmehr auf einem Spielplatz bei einem Sturz von einer Schaukel verletzt. Die Flecken auf der Haut des Mädchens, die zunächst als Verbrennungen gedeutet worden waren, erwiesen sich laut Gutachten als Folgen einer Allergie der Kleinen gegen eine Salbe.

Ein offenbar falscher Arztbefund löste die Hetzjagd aus

Der Ermittlungsrichter entließ Diego aus der Untersuchungshaft. Sein Anwalt Plácido Alonso berichtete am Sonntag: "Mein Mandant und seine Familie sind am Boden zerstört. Diego wurde von der Öffentlichkeit vorab verurteilt. Der dadurch entstandene Schaden ist nicht wiedergutzumachen." Eine Zeitung hatte das Foto des 24-Jährigen in Handschellen mit dem Titel versehen: "Der Blick eines Mörders". Die Sozialministerin der Kanaren, Inés Rojas, hatte das "scheußliche Verbrechen" verurteilt, das Regionalparlament der Inselgruppe eine Schweigeminute für das Mädchen eingelegt. In Internet-Foren wurde gefordert, man solle dem jungen Mann eine Kugel in den Kopf jagen oder ihm eine Bombe in die Zelle legen.

Der Anwalt bereitet nun eine Klage gegen die Ärzte vor, die das Mädchen zuerst untersucht und mit einem offenbar fehlerhaften Befund die Verdächtigungen gegen den 24-Jährigen aufgebracht hatten. Der Fall löste in Spanien aber auch eine Debatte über die Rolle der Presse aus. "Eine Entschuldigung ist das Minimum, das man von all denen verlangen kann, die Diego voreilig verurteilt haben", meint der Anwalt. Die Internet-Zeitung "diariocritico.com" ergänzte: "Eine falsche Berichterstattung hat das Leben eines Menschen praktisch zerstört."

dpa