Schweizer wollen Bau von Minaretten verbieten
In der Schweiz dürfen in Zukunft keine Minarette mehr gebaut werden. Mit der Mehrheit von 57,5 Prozent nahmen die Schweizer bei einer Volksabstimmung am Sonntag einen entsprechenden Antrag national-konservativer Kräfte an, berichtetet das Schweizer Fernsehen. Das Ergebnis kam für die meisten Parteien sowie die Regierung völlig überraschend. Die Wahlbeteiligung war mit rund 54 Prozent unerwartet hoch. In der Schweiz leben etwa 400 000 Muslime. Es gibt bereits vier Minarette, zwei neue Bauanträge liegen vor.
29.11.2009
Von Jan Dirk Herbermann

"Ich bin sehr befriedigt", sagte Ulrich Schlüer, Abgeordneter der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Schlüer gilt als der geistige Vater der Initiative. Die SVP, die größte Partei des Landes, unterstützte das Vorhaben. Die Befürworter eines Banns sagten, die Minarette symbolisierten einen "Herrschaftsanspruch des Islam" über die Schweiz. Sie warnten auch vor einer "Islamisierung" der Schweiz.

Ob das Bauverbot tatsächlich in die Verfassung des Landes aufgenommen wird, ist jedoch fraglich. Rechtsexperten betonen, ein Bauverbot verstoße wahrscheinlich gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte das Bauverbot für Minarette in der Schweiz stoppen. "Gegen das Bauverbot wird sicher vor dem Gerichtshof geklagt", sagte der Berner Islamwissenschaftler Reinhard Schulze.

Die Regierung, die meisten Parteien und die Kirchen hatten vor einer Annahme der Initiative gewarnt. Sie sagten, ein Minarettverbot löse keine Probleme bei der Integration von Menschen aus muslimischen Ländern. Sie befürchteten auch einen Angriff auf die Religionsfreiheit. Wirtschaft und Unternehmen fürchten jetzt einen Boykott Schweizer Waren in der muslimischen Welt.

Soziologe warnt vor Pogromstimmung

Der Soziologe und Autor Jean Ziegler hat vor einer "Pogromstimmung" in der Schweiz gegen Muslime gewarnt. Die Volksabstimmung über ein Bauverbot für Minarette sei in Wahrheit ein Referendum über den Islam, sagte Ziegler dem epd in Genf. "Viele Muslime fürchten sich vor Anschlägen, vor Gewalt, vor Stigmatisierung", sagte der ehemalige sozialdemokratische Abgeordnete. "Zuerst gab es nur eine kleine Gruppe in der Schweizerischen Volkspartei, hart an der Grenze zum Faschismus, die ein Bauverbot für Minarette forderte." Diese Gruppe habe aber eine riesige Kampagne gestartet.

Gleichzeitig lehnten die Schweizer ein Exportverbot für Waffen ab. Eine linksgerichtete Gruppe hatte das Verbot gefordert. Die schlechte Wirtschaftslage des Landes und die Angst vor einem Jobabbau hätten zu dem Nein geführt, sagte der sozialistische Abgeordnete und Rüstungsgegner Jo Lang.
Warnungen vor Angriff auf die Religionsfreiheit

Fast alle anderen Parteien, die Regierung, das Parlament und die Kirchen standen auf der Seite der Muslime. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund, die katholische Kirche und die jüdischen Gemeinden warnten vor einem Angriff auf die Religionsfreiheit. Auch die Wirtschaft sorgte sich um den Ruf der Schweiz als offenes Land. Ein Minarettverbot könnte Boykottaufrufe gegen Schweizer Erzeugnisse nach sich ziehen, warnten Arbeitgeber und Unternehmer.

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Einer der Wortführer im Kampf gegen die Minarette ist der SVP-Abgeordnete Walter Wobmann: "Die Befürchtung ist groß, dass den Minaretten der Gebetsrufer, der Muezzin, folgen wird", warnt er. Und nach dem Muezzin droht in Wobmanns Vorstellungswelt die Scharia. Was das bedeutet? "Scharia, also islamisches Recht, beinhaltet unter anderem Ehrenmorde, Zwangsehen, Beschneidungen, das Tragen der Burka, die Missachtung von Schulvorschriften, ja sogar Steinigungen." Ein anderer bekannter Hardliner, Ulrich Schlüer, fasst zusammen: "Die Islamisierung vollzieht sich schrittweise." Jetzt müsse sich das Schweizervolk wehren. Tatsächlich errichteten die Muslime seit 1962 erst vier Minarette in der Schweiz, der Bau eines weiteren Turms ist bewilligt.

UN-Menschenrechtler rügen die Provokation

Damit die Eidgenossen die Botschaft auch richtig verstehen, haben die Initiatoren in vielen Städten und Gemeinden ihr berüchtigtes "Raketen-Plakat" geklebt. Links steht eine schwarz verhüllte Frau, daneben ragen Minarette wie Raketen in den Himmel. Ihre dunklen Schatten bedecken eine Schweizer Fahne. Das Poster sorgt bei den Gegnern der Initiative für Empörung, selbst UN-Menschenrechtsexperten rügen die "Provokation".

Und viele der 400.000 Muslime in dem Land mit knapp acht Millionen Einwohnern beobachten die schrille Kampagne mit Angst. "Es ist vor allem eine Diskriminierung all jener Muslime, die sich im Rahmen des gesellschaftlichen und interreligiösen Dialogs engagieren", sagt Hisham Maizar. Der Präsident der Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz fährt fort: "Sie fühlen sich wie mit Hammerschlägen vor den Kopf gestoßen." Maizar sieht Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. So müssten auch die Muslime als "Sündenböcke" herhalten. Viele Muslime fürchten zudem, dass die Minarett-Gegner eine langfristige Strategie verfolgen. "Das ist für uns eindeutig", sagt der Imam der Genfer Moschee, Youssef Ibram.

"Erst die Minarette, dann die Muslime"

Die Moschee in Genf ist das größte Schweizer Bethaus für Muslime. "Erst sind es die Minarette, dann sind es die Moscheen, dann sind es die Muslime", sagt der Imam mit sorgenvollem Gesicht. Bislang konnten die Minarett-Gegner noch nicht eine Mehrheit der Schweizer von ihrem Kurs überzeugen. Laut Umfragen überwiegt die Zahl der Eidgenossen, die ein Minarettverbot ablehnen. Die Muslime fürchten sich dennoch. "Wenn schon fünf Prozent der Schweizer das Verbot der Minarette verlangen ist das eine Niederlage für uns, es würde zeigen, dass wir Muslime in der Schweiz nicht willkommen sind", sagt der Genfer Imam.

Ein Forschungsprojekt an der Universität Bern, das die Rolle religiöser Minderheiten in den vergangenen fünf Jahrzehnten untersuchte, kommt zu einem überraschenden Befund. Bei 15 Volksentscheiden zu religiösen Themen wurden auf Kantonsebene alle Vorlagen angenommen, bei denen es um die christliche und jüdische Gemeinschaften ging. Drei Abstimmungen, die eine Besserstellung der muslimischen Minderheit betrafen, wurden abgelehnt.

epd