Beten, opfern, teilen: Eindrücke vom höchsten islamischen Fest
Der Hauptprotagonist ist wohl der ruhigste unter allen Anwesenden. Lammfromm steht der Bulle mit der Nummer 17 in der großen zylindrischen Vorrichtung, nur der braune Kopf schaut heraus - Richtung Mekka.
27.11.2009
Von Ulrich Pontes

Die Blutpfütze am Boden, die Kadaver weiter hinten in der Halle, auch den verwegenen Anblick des türkischen Schlachters, dessen weißer Schutzanzug ebenso wie sein Gesicht von roten Spritzern übersät ist: All das scheint das Tier nicht wahrzunehmen. Es guckt sich mit großen, neugierigen Augen um, während die sieben Männer, die sich eben in ziemlicher Hektik mit in den Raum gedrängt haben, gemeinsam mit dem Schlachter ein kurzes Gebet zu Allah anstimmen.

Das Tier muss schmerzfrei sterben

Danach geht alles sehr schnell: Betäubung mit der Elektroschock-Zange, Drehung des Zylinders mitsamt dem Bullen um die Längsachse, ein geübter Griff zur Überstreckung des Kopfes – und sobald die Beine des Tiers Richtung Decke zeigen, durchtrennt ihm der Schlachter mit raschem Schnitt Kehle und Halsschlagader. Dies soll schnelles, vollständiges Ausbluten gewährleisten, wie es die muslimischen Schächtungsvorschriften verlangen, und gleichzeitig verhindern, dass das Tier leiden muss. "Stirbt das Tier nicht schmerzfrei, ist es kein richtiges Opfer", erklärt Serhat Güngör, einer der sieben, die sich den Bullen Nummer 17 als Schlachtopfer teilen. Aber auch mit deutschem Recht und Gesetz steht diese Schächtung im Einklang. Dass alles mit rechten Dingen zugeht, darüber wacht der anwesende Amtstierarzt.

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Am Freitag (27. November) hat in diesem Jahr das Opferfest begonnen – ein islamisches Fest, das für Muslime einen ähnlichen Stellenwert hat wie Weihnachten für Christen. Jeder Muslim, der es sich leisten kann, ist in diesen Tagen verpflichtet, Allah ein Tier zu opfern und das Fleisch mit Bedürftigen, Nachbarn und Verwandten zu teilen. Zurück geht das Fest auf eine Prüfung des Propheten Abraham (auch Ibrahim genannt), der, wie in Sure 37 des Koran berichtet, seinen Sohn Ismael opfern sollte – bis ihm Allah Einhalt gebot und stattdessen anordnete, ein großes Tier zu töten. Eine Geschichte, die an das Alte Testament erinnert. Dort allerdings kommt die Hauptrolle nicht Abrahams erstgeborenem Sohn Ismael zu, der als Sohn der Sklavin Hagar gilt, sondern dem später mit Sara gezeugten Sohn Isaak.

In der Moschee quellen die Schuhregale über

Begonnen hat der Tag für die sieben Türken, die sich den Bullen Nummer 17 geteilt haben, in der türkischen Moschee in Bad Kreuznach. Ein unauffälliges Gebäude mit Klinkerfassade, aus der Ferne fällt lediglich die große türkische Fahne auf, die an der Fassade flattert. Mehr als 500 Menschen soll der zentrale, L-förmig ums Treppenhaus herum gebaute Gebetsraum im ersten Stock fassen. Als Serhat Güngör und seine Bekannten kurz vor neun zum Feiertagsgebet eintreffen, ist der Raum allerdings hoffnungslos überfüllt. Sie müssen ins Stockwerk darüber ausweichen. Auch hier quellen die Schuh-Regale im Treppenhaus bereits über. Drinnen liegt weicher Teppich, ansonsten ist der Raum bis auf einige Lüster an der Decke und ein paar Holztafeln mit arabischen Schriftzügen an der Wand schmucklos.

Schnell wird noch eine Holzkiste herumgereicht, in die zahlreiche Geldscheine wandern, dann beginnt, von unten per Lautsprecher übertragen, das Gebet. "Allahu ekber" wird Allah in arabischsprachigem liturgischen Singsang angerufen, zunächst im Stehen, später sinken alle auf die Knie und verbeugen sich mehrfach. Anzüge und Jeans, alt und jung, Schnurrbärte und modische Trendfrisuren – die Gläubigen wirken bunt gemischt, allerdings sind es ausschließlich Männer. Schon bevor unten der Imam auf seine erhöhte Kanzel steigt, die nur für die Hutbe – die Predigt während der Freitags- und Feiertagsgebete – genutzt wird, tauschen manche den Kniesitz mit einer bequemeren Haltung. Ähnlich wie beim Weihnachtsgottesdienst dürften auch hier viele anwesend sein, die sonst kaum jemals eine Moschee von innen zu Gesicht bekommen.

Von hier aus für Menschen in armen Ländern opfern

Arabisches Gebet, türkische Predigt, wieder arabisches Gebet – nach rund einer Viertelstunde ist das Feiertagsgebet vorüber. Die Predigt hat von Anweisungen des Propheten für das Opfern gehandelt, übersetzt Serhat Güngör: "Es ging darum, wie der Prophet zu seiner Frau gesagt hat, dass sie darauf achten soll, wie das Opfer vonstatten geht, wenn sie nicht selbst schlachtet." Jeder soll soweit möglich dafür Sorge tragen, dass alles den Vorschriften gemäß abläuft – auch wenn der Akt des Opferns an eine andere Person delegiert wird, was erlaubt ist und auch häufig praktiziert wird.

Viel dreht sich beim Opferfest um das Zwischenmenschliche. "Den größten Teil des Fleisches gibt man weg, die Leute besuchen sich gegenseitig, Großfamilien kommen zusammen", erklärt Serdar Günes, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam an der Universität Frankfurt: "Das Fest hat also neben der religiösen eine kulinarische und eine soziale Dimension." Hierzu gehört auch der wohltätige Aspekt: Das Fleisch soll ja vor allem mit Bedürftigen geteilt werden.

Wo es, wie in Deutschland, relativ wenige arme Menschen gibt, entscheiden sich viele dafür, das Opfer in die Ferne zu delegieren: "Man kann auch den entsprechenden Wert an Hilfsorganisationen zahlen, die dann in ärmeren Ländern Tiere schlachten und dort das Fleisch verteilen", so Günes. Ein Tieropfer müsse es allerdings sein - Ersatzleistungen etwa in Form anderer Lebensmittel oder Hilfsgüter seien nicht zulässig.

Wenig Raum für Besinnlichkeit

Beten, opfern, teilen, Familie und Freunde treffen - für Stille und Besinnlichkeit, wie es Christen mit Weihnachten verbinden mögen, ist da beim Opferfest wenig Raum. "Jetzt geht's zum Schlachten", verkündet Irfan Tekes, der wie Serdar Güngör zu der Siebenergruppe gehört, gleich nach Ende des Gebets in der Moschee. Der Termin in der Schlachterei steht kurz bevor – und dann wartet ja zuhause auch schon die ganze Sippschaft. Tekes ist der Organisator der Gruppe: Er hat für sich und seine Bekannten den Bullen bestellt.

Bei der Schlachterei mit angeschlossenem Bauernhof steht "Urlaub vom 23. bis 30. November" vorn an der Ladentür, aber das gilt nur für die deutschen Kunden. Draußen sind längst alle Parkplätze belegt, im Innenhof drängen sich hunderte Muslime. 1.800 Euro zahlt Tekes an einem behelfsmäßigen Schalter in einem überdachten Anhänger – für den Bullen, der zusammen mit Dutzenden weiteren Tieren schon im Gatter wartet, und für die groben Arbeiten: gehäutet und entbeint wird das Tier von den deutschen Schlachthofmitarbeitern. Danach nehmen die sieben ihr Tier in Form großer Fleischlappen in einem Rollcontainer in Empfang und beginnen in einem eigens aufgestellten Zelt, in dem sich schon an einem Dutzend weiterer Tische Fleischberge türmen, es vom gröbsten Fett zu befreien und in kleine Stücke zu schneiden. Zwischendurch werden immer wieder Bekannte begrüßt und auch mal für Fremde Messer gewetzt.

"Wir sind sehr zufrieden, das ist gut organisiert hier", sagt Güngör, der seit Jahrzehnten in Deutschland Opferfest feiert. "Früher war das alles schwieriger – da haben Leute teilweise in ihrem Garten geschlachtet", erinnert er sich. Aber auch wenn improvisiert wurde, irgendwie sei es immer gegangen – und musste es auch. Gott durch das vorgeschriebene Opfer am Opferfest Hochachtung zu erweisen, das ist für gläubige Muslime Pflicht, egal wo sie leben. "Und auch wenn es für Deutsche vielleicht komisch wirkt: Das hat schon alles seinen Sinn."
 


Ulrich Pontes ist Redakteur bei evangelisch.de.