"Hit the Bitch" heißt die dänische Variante von Aufklärung über das Thema Gewalt gegen Frauen, "schlag die Schlampe". Es ist ein interaktives Video aus der Perspektive des Schlägers. Eine junge Frau steht vor ihm und sagt (auf Dänisch, die Übersetzung kommt aus einem amerikanischen Forum): "Natürlich habe ich mit jemandem getanzt!", dann: "Du hast kein Recht, zu entscheiden, mit wem ich tanze oder mit wem nicht!" Dazu kommt eine männliche Stimme und wirft dem Spieler vor: "Sieht aus, als hättest du keine Kontrolle über deine Schlampe! Ein paar Schläge könnten helfen."
Vom Weichei zum Gangster
Und dann geht es los: Der Spieler soll per Maus oder Webcam die Frau auf dem Bildschirm schlagen. Zwei Anzeigen dokumentieren seinen "Fortschritt": Links "Pussy", im Deutschen in etwa "Weichei", rechts "Gangsta", die Slang-Schreibweise für Gangster. Zu Beginn ist der Spieler 100 Prozent "Pussy", je öfter er schlägt, umso höher wird der "Gangsta"-Anteil.
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Mit jedem Schlag in das Gesicht der Frau wird sie stärker verletzt, bis zu einem blutigen Riss über dem blau geschlagenen linken Auge. Der Schlag, der die "Gangsta"-Anzeige bis auf 100 Prozent treibt, lässt die Frau zu Boden sinken. Die Musik im Hintergrund wird ausgeblendet, auf dem Bildschirm erscheint erst die Anzeige "100 % Gangsta". Dann verschwindet das "Gangsta" und wird zu "Idiot!", während eine Männerstimme (wieder auf Dänisch) sagt: "Du Idiot! Es ist nicht 'gangsta', Frauen zu schlagen. Du hast dich schon mit dem ersten Schlag zu einem Weichei gemacht. Es gibt keine Entschuldigung für Gewalt, keine! Also lass dir helfen, bevor es zu spät ist."
Die junge Frau liegt am Boden und weint. Dann wird dem Schläger noch erklärt, dass in Dänemark zwei Mädchen aus jeder neunten bis zwölften Klasse in einer gewalttätigen Beziehung leben. Gewalttätige Männer oder betroffene Frauen werden aufgerufen, um Hilfe zu bitten.
Unverständnis im World Wide Web
Das ganze soll die Aufmerksamkeit für das Problem der häuslichen Gewalt steigern, hat aber so hohe Wellen ausgelöst, dass die Initiatoren das interaktive Video nur noch für Dänen auf ihrer Webseite bereit halten – der Ansturm war zu groß, sagen sie. Nachdem der Link über die Webseite "Adverblog" und weitere Blogs im Netz kursierte und die Diskussion über die Kampagne begannen, brachen die dänischen Server zusammen. Auch die amerikanische Online-Zeitung "Huffington Post" nahm das Thema auf und fragte ihre User, was sie davon hielten. Auf der Webseite der Kampagne, www.hitthebitch.dk, ist jetzt nur noch der Hinweis zu finden, dass nur dänische Nutzer noch auf die Anwendung zugreifen können. Für alle anderen gibt es aber noch YouTube-Videos, die das Spiel dokumentieren.
Die meisten der Netz-Proteste gegen die Kampagne sind auch dem geschuldet, dass die meisten Nutzer kein Dänisch können und daher die Dialoge und den Aufruf in dem Video nicht verstehen. Ein User auf contexts.org übersetzt die Texte ins Englische, auch die Beleidigungen, die die Frau dem Schläger entgegenwirft: "Nur dein IQ ist noch kleiner als dein Penis!", "Und? Fühlst du dich jetzt stark?" oder "Bist du bescheuert? Ein 'Nein' ist ein 'Nein'!"
Die dänische Initiative will sich nicht äußern. "Wir sprechen nicht mit Medien außerhalb Dänemarks über die Kampagne", sagte Kirsten Hermansen der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung, "die Kampagne war nur für Dänen gedacht."
"Fachlich nicht sinnvoll"
Wer also ist der Adressat dieser Kampagne? Durch die Präsentation des Spiels sei es wahrscheinlich, dass sich die Kampagne vor allem an Jugendliche richte, erklärt Anita Eckhardt vom "Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe" (bff), und dabei an diejenigen, die sich von Gewalt schon jetzt nicht abschrecken ließen – sonst kämen sie nicht zu der warnenden Auflösung am Ende. Aber gerade das funktioniere nicht, sagt Eckhardt: "Der Abschreckungsimpuls am Ende reicht nicht", erklärt sie, "der Schockeffekt hat hier keinen Präventiv-Wert." Dadurch, dass der Spieler die Frau im Video selbst aktiv schlägt, die anschließende "100 % Idiot"-Nachricht aber nur passiv auf dem Schirm erscheint, wird die Gewalt viel stärker gewichtet als die eigentliche Aussage. "Das würde unserer Verband auf keinen Fall machen", bewertet Eckhardt die Kampagne, "das ist auch fachlich nicht sinnvoll."
Neben der exzessiven Gewaltdarstellung sieht Eckhardt noch zwei weitere Probleme in der dänischen Spielkampagne: Den Kontext der dargestellten Gewalt und die Oberflächkeit der Darstellung. "Blaue Flecken sind nicht alles", sagt sie. Auch die psychische Belastung ist für Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, sehr problematisch, und nicht immer sind die Folgen der Gewalt gerade in Paarbeziehungen so deutlich nach außen sichtbar wie in dem dänischen Spiel. Eine solche Kampagne müsse viel stärker thematisieren, wie Frauen und Mädchen Hilfe finden können und klarmachen, wie weit verbreitet Gewalt gegen Frauen ist, meint Eckhardt.
Häusliche Gewalt gibt es überall
Auch einen anderen Aspekt findet die Frauenvertreterin bedenklich. "Gewalt wird hier schon allein durch die gewählte Sprache als Unterschichtenphänomen dargestellt", sagt sie und verweist auf zwei Studien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Die erste Studie von 2004 ergab, dass rund 25 Prozent der Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren ein- oder mehrmals körperliche oder sexuelle Gewalt in der Beziehung durch Beziehungspartner erlebt haben. "Frauen sind demnach von häuslicher Gewalt mehr bedroht als durch andere Gewaltdelikte wie Körperverletzung mit Waffen, Wohnungseinbruch oder Raub", stellt das Ministerium fest. Eine aktuelle Untersuchung von 2009, "Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen", belegt, dass auch Frauen in mittleren und hohen Bildungs- und Sozialschichten in einem viel höheren Maß Opfer von Gewalt werden als dies bislang bekannt war.
Davon ist in dem interaktiven Video der dänischen Kampagne auch keine Rede. Stattdessen hinterlegen ein "Gangsta"-Beat und Jugendsprache die fortschreitende Verletzung der Frau. Die Kampagne wirkt fehlgeleitet – das Ziel, Aufmerksamkeit zu erregen, hat sie zwar erreicht. Sinnvolle Aufmerksamkeit für das Thema Gewalt gegen Frauen ist das aber eher nicht, sagt Anita Eckhardt: "Diese Art der Gewaltdarstellung haben wir in den Medien schon genug."
Frauen und Mädchen, die Hilfe brauchen oder nach Beratung suchen, können dies unter anderem auf der Webseite des bff tun. Auch die Beratungsstellen der Diakonie bieten Frauen und Mädchen Hilfe vor Ort, ebenso wie die Telefonseelsorge.
Zu dem Thema "Gewalt gegen Frauen" hat die EKD 1999 eine Denkschrift in zwei Teilen vorgelegt, in der es unmissverständlich heißt: "Sie ist ein Angriff auf die Menschenwürde und widerspricht dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und auf die Freiheit der Person." Im Rahmen der "Ökumenischen Dekade zur Überwindung von Gewalt" haben die Kirchen das Problem ebenfalls thematisiert.
Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Wissen.