Doping-Urteil mit Folgen: Pechstein bleibt gesperrt
Das oberste Sportgericht hat entschieden: Claudia Pechstein bleibt gesperrt. Damit liegt die Karriere der erfolgreichen Eisschnellläuferin in Trümmern.

Wohl noch nie in den 25 Jahren seines Bestehens hatte der Internationale Sportgerichtshof CAS ein Urteil von solch großer Tragweite zu fällen. Und noch nie fiel den drei Richtern eine Entscheidung so schwer, denn es geht im Fall Pechstein um die Glaubwürdigkeit des Anti-Doping-Kampfes, um viel Geld und nicht zuletzt um das künftige Leben der Top-Athletin. Dreimal haben die Richter die Entscheidung deshalb verschoben; am Mittwoch nun wurde das 66-seitige Urteil öffentlich: Die vom Eislauf-Weltverband ISU am 3. Juli ausgesprochene zweijährige Sperre gegen die Berlinerin bleibt in Kraft.

"Versuchskaninchen für indirekte Beweisführung"

Der Grund für die Sperre ist ein sogenannter indirekter Beweis für Doping: In ihrem Blut wurde ein erhöhter Wert an Retikulozyten nachgewiesen - das ist eine Vorstufe der roten Blutkörperchen, die für den Sauerstofftransport von der Lunge zu den Muskeln zuständig sind. Das gilt als Indiz für Blutdoping etwa mit dem Mittel Erythropoetin (EPO), kann aber seinen Grund theoretisch auch in einer Blutkrankheit haben. Den schlüssigen Nachweis einer solchen Erkrankung, wie Kritiker ihn von Pechstein gefordert hatten, konnte sie nicht führen. Umgekehrt wurde ihr aber auch nie direkt nachgewiesen, ein Dopingmittel verwendet zu haben - insofern ist ihre Sperre ein Novum.

Claudia Pechstein selbst, die ihre Unschuld beteuert und sich als "Versuchskaninchen für die indirekte Beweisführung" sieht, reagierte vergrätzt auf das Urteil. "Das zu akzeptieren, ist für mich unglaublich hart." Zwar sei das Ergebnis abzusehen gewesen - geschockt sei sie aber darüber, "wie es zustande gekommen ist. Erst die ISU, jetzt der CAS. Ich habe lernen müssen, dass es ausgerechnet vor Sportgerichten offenbar keinen Platz für das im Sport so oft beschworene Fair Play gibt", erklärte Pechstein, die 250.000 Euro ausgegeben haben soll, um ihre Unschuld nachzuweisen. "Wie man mich ohne Beweis, aufgrund eines einzigen Indizes, das zudem in der Wissenschaft noch sehr umstritten ist, sperren kann, wird mir für immer unbegreiflich bleiben", fügte sie hinzu. Pechstein, die jegliches Doping bestreitet, hatte bereits zuvor angekündigt, nun vor das Schweizer Bundesgericht und notfalls vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen zu wollen. Dies bekräftigte nun ihr Anwalt, der zu dem von einem "schwarzen Tag für die Sportrechtssprechung" sprach.

Für den Nürnberger Pharmakologen Fritz Sörgel war der Fall dagegen "von Anfang an" klar: "Ich hatte nicht an die Blutkrankeit geglaubt. Für alle, die an indirekten Beweisen forschen, ist das Urteil ermutigend. Es ist immer eine gewisse Unsicherheit mit drin, aber diese ist im Fall Pechstein sehr klein."

Urteil wegweisend für den Kampf gegen Doping

Vor dem Urteil hatte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, auf die grundsätzliche Bedeutung des indirekten Beweises für den Kampf gegen Doping hingewiesen. "Unabhängig vom Ausgang dieses Einzelfalls kann ich mir wegen der klaren Regeln nicht vorstellen, dass das Urteil den indirekten Beweis grundsätzlich verwirft", sagte er der Deutschen Presseagentur dpa. "Dies wäre im Übrigen ein herber Rückschlag in unserem Kampf gegen Doping und deshalb für die olympische Bewegung schwer hinnehmbar."

Pechstein selbst hatte die These, ein Freispruch bedeute einen Rückschlag für die indirekte Beweisführung, heftig kritisiert. " Das heißt doch nichts anderes, als man müsse mich unbedingt verurteilen, wenn man den indirekten Beweis retten wolle. Ganz gleich ob ich schuldig bin oder nicht. Was ist denn das für eine aberwitzige Denke?", schrieb die 37-Jährige auf ihrer Homepage (www.claudia-pechstein.de). Der indirekte Beweis funktioniere nur dann, wenn er auch die Unschuldigen schütze. Als völlig unverständlich bezeichnete sie auch, dass mehr als 500 weitere Proben mit abnormen Retikulozyten-Werten außerhalb des Grenzbereiches in ISU-Datenbanken lagern. "Warum bin ich die einzige, die als Aussätzige am Nasenring durch die Arena gezogen wird?"

Nach dem Urteil legte sie nach: "Ich bin fest davon überzeugt, dass ich verurteilt wurde, weil hinter den Kulissen Kräfte gewirkt haben, die den indirekten Beweis in diesem Präzedenzfall nicht scheitern sehen wollten", schimpfte sie. "Wenn die Umkehr der Beweislast im Anti-Dopingkampf Schule macht, dann kann man ja zukünftig keinem talentierten Kind oder Jugendlichen mehr mit gutem Gewissen empfehlen, Leistungssport zu treiben. Denn am Ende steht man womöglich, so wie ich jetzt, unverschuldet vor den Trümmern seiner Karriere."

"Schnellschuss-Urteil"

Sportrechts-Experte Michael Lehner bezeichnete die CAS-Entscheidung als "sportpolitisches Urteil, ein Schnellschuss-Urteil". Es gebe bisher "kein Anwendungsprotokoll, das genau beschreibt, wie der indirekte Nachweis zu führen ist", sagte der Heidelberger Jurist. Das Urteil stehe "auf sehr dünnem Eis, ohne saubere juristische Vorbereitung. Da hat Claudia Pechstein richtig Pech gehabt. Ich wünsche mir, dass sie jetzt als Vorreiter anderer betroffener Athleten weitergeht vor das Schweizer Bundesgericht."

Für die Athletin steht allerdings auch sehr viel auf dem Spiel. Mit der Bestätigung der Sperre dürfte die Karriere zu Ende sein, zudem könnte sie ihren Beamten-Job bei der Bundespolizei Athletin verlieren, Sponsoren dürften sich abwenden. Sportverbände in aller Welt hingegen könnten die Bestätigung der Sperre nun als Initialzündung begreifen und ausstehende Doping-Urteile mit indirektem Beweis verhängen. Der Fall Claudia Pechstein könnte eine ganze Lawine von Sperren ins Rollen bringen.

Mit Material von dpa