Rückzugsgefechte - Die Zukunft der Verlage
Den Verlagen brechen zunehmend Leser und Werbekunden weg. Zündende Ideen für neue Geschäftsmodelle wären gefragt, gab es aber auch bei einer Tagung in Berlin nicht.
25.11.2009
Von Diemut Roether

Immerhin war dann und wann auch von Journalismus die Rede. So bekannte sich etwa Bernd Buchholz, der Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, bei den VDZ-Zeitschriftentagen in Berlin dazu, dass sein Verlag "meinungsbildenden Journalismus" mache. "Wir sind keine Schraubenfabrikanten", sagte er - und daher sei in der Verlagswirtschaft auch keine Kurzarbeit möglich. "Im Kern" sei G + J ein "journalistisches Haus", dessen Kompetenz darin bestehe, Informationen zu sortieren und zu bearbeiten.


Auch Philipp Welte, Vorstand Verlage im Hubert Burda Konzern, betonte, dass das Zeitschriftengeschäft vor allem aus Journalismus bestehe: "Wir haben gelernt, gute Zeitschriften zu machen und diese zu verkaufen." Das entsprach den Thesen des Unternehmensberaters Gregor Vogelsang von Booz & Company, der den Verlagen riet, sich wieder mehr auf das Kerngeschäft konzentrieren.


Doch was Rezepte angeht, wie die Zeitschriften aus der Krise herauskommen könnten, die - so der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger, Wolfgang Fürstner - schlimmer sei als alles, was die Verleger bisher kannten, war auch Buchholz eher ratlos. Er sprach davon, dass Kostenstrukturen überprüft werden müssten und dass dies schmerzhaft sei, weil mit Personalabbau verbunden. Er nahm für sein Verlagshaus in Anspruch, dass es im Krisenjahr 2009 mehr probiert habe als jeder andere Verlag. Doch die jüngsten Versuche, die männliche Zielgruppe mit "Beef", "Galamen" und "Business Punk" zu erreichen, überzeugten nicht alle in der Branche.


Videos für zehn Euro


Welte betonte, es komme für die Verlage darauf an, den Journalismus technologieneutral zu betreiben, also für Online, Print und mobile Märkte gleichermaßen. Und sein Kollege Andreas Schoo vom Bauer Verlag zeigte sich begeistert von dem amerikanischen Netzwerk "demand media", das Vogelsang vorgestellt hatte, in dem Journalisten untereinander um Aufträge konkurrieren und der billigste Auftragnehmer den Zuschlag erhält. Ein Video, sagte Schoo, dürfe eben nicht mehr 1.000 Euro kosten, sondern nur noch zehn Euro. Das wiederum erinnert doch eher an das Geschäftsmodell einer Schraubenfabrik, in der es nur darum geht, noch billiger zu produzieren als die Konkurrenz, als an ein Unternehmen, das für sich in Anspruch nimmt, meinungsbildenden Journalismus zu machen und daher das Privileg hat, nur eine reduzierte Umsatzsteuer zu zahlen.


Die Lage, so schien es bei den Zeitschriftentagen 2009, ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Doch von "Mut, Innovationen und neuen Geschäftsmodellen", mit denen die Zeitschriftenverleger, wie der VDZ neulich verbreitete, die Krise angeblich parieren, war bei den Zeitschriftentagen wenig zu merken. Die üblichen Schlagworte wurden bemüht: Synergien zwischen Print und Online sollen letztlich dazu führen, dass auch der Journalismus im Internet bezahlbar wird. Und von Inhalten war erschreckend wenig die Rede.

Strukturen ändern


Die einen - etwa Andreas Wiele von Springer oder Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der Chefredaktion des "Stern" - halten in diesem Zusammenhang Newsrooms für das Allheilmittel und sprechen davon, dass man die Strukturen ändern müsse. Die anderen - wie Mathias Müller von Blumencron, der Chefredakteur des "Spiegel" - hielten dagegen, dass mehr über "guten Journalismus" gesprochen werden sollte. Ein gemeinsamer Newsroom sei für ein Magazin wie den "Spiegel" völlig ungeeignet, sagte Müller von Blumencron. Dass es keines Newsrooms bedarf, damit mehrere Autoren zusammen an einem Artikel arbeiten können, führt der Spiegel alle Wochen wieder eindrucksvoll vor Augen: die Leserin reibt sich manchmal verwundert die Augen, wenn sie sieht, wie viele Namen unter einem drei Seiten langen Artikel stehen.


Der Unternehmensberater Vogelsang schrieb den Verlegern ins Stammbuch, dass es immer noch zu viele Zeitschriften gebe. Auch im Krisenjahr 2009 seien mehr Zeitschriften hinzugekommen, als aus dem Markt genommen worden seien. Selbst wenn sich der Markt wieder erhole, würden die deutschen Zeitschriftenverlage im Jahr 2014 insgesamt rund 700 Millionen Euro weniger umsetzen als noch 2007. Gemessen am Gesamtumsatz der Branche, den der VDZ für 2007 auf rund 7,5 Milliarden Euro taxierte, wären das rund zehn Prozent weniger.


Vogelsang präsentierte Zahlen, die noch einmal deutlich vor Augen führten, dass die Krise der Zeitschriften keineswegs allein auf die derzeitige Wirtschaftskrise zurückzuführen ist. Der Anzeigenmarkt in Deutschland habe sich von fünf Milliarden Euro 1980 auf fast 20 Milliarden Euro 2007 vervierfacht. In derselben Zeit sei der Marktanteil der Zeitschriften am Werbemarkt um ein Drittel von 18 Prozent auf 12 Prozent geschrumpft. Den Verlegern machte Vogelsang wenig Hoffnungen: für die Publikumszeitschriften sei keine Erholung zu erwarten. Alle reifen Märkte (USA, Frankreich und Großbritannien) hätten sich in den vergangenen Jahren ähnlich entwickelt wie Deutschland. Diese Entwicklung könne man jedoch auch positiv sehen, sagte Vogelsang: Ein europäischer Verleger habe ihm gesagt: "Wir bauen unsere Abhängigkeit von der Werbung ab."


Keine Mischkonzerne


Die deutschen Verleger sollten von Erfolgsgeschichten wie denen von "The Economist" und "The Week" lernen, empfahl Vogelsang. Diesen Zeitschriften sei es gelungen, sich für die lesende Elite unverzichtbar zu machen - nicht zuletzt dadurch, dass sie am Wochenende erscheinen, wenn die lesende Elite Zeit hat. Er empfahl den Verlagsmanagern, die Anregungen aus dem Onlinegeschäft zu nutzen, um das Geschäft mit den gedruckten Zeitschriften zu verbessern. Allen, die in den kommenden Jahren mehr Umsatz mit digitalen Geschäften erzielen wollen, gab er mit auf den Weg, dass sich gezeigt habe, dass der Erfolg in digitalen Märkten "sehr wenig mit dem Zeitschriftengeschäft zu tun" habe. Die Synergien zwischen Online und Print seien in den meisten Verlagshäusern geringer als erwartet. Und er riet den Verlegern, sich zu konzentrieren: "Verlage sind keine Investment-Fonds und keine Mischkonzerne."


Vieles von dem, wovon die Verlagsmanager sich ein gutes Geschäft erhoffen, hat in der Tat wenig mit Journalismus zu tun. Philipp Welte beschrieb, wie der Burda-Konzern rund um seine Zeitschriftenmarken "Focus", "Instyle" oder "Meine Familie & ich" im Internet elektronische Marktplätze aufbauen will. Einen Tag später wurde bekannt, dass Burda mit 25 Prozent Anteil Hauptaktionär am sozialen Netzwerk Xing wird (epd 92/09). Auch Andreas Wiele von Axel Springer plädierte dafür, die Zeitschriftenmarken zu nutzen, um soziale Netzwerke um sie herum aufzubauen. Zugleich betonte er die Notwendigkeit, "die dicke Nuss des Paid Content zu knacken". Springer traue sich, "ein Tabu zu brechen: Wir verlangen Geld für journalistische Inhalte."

Wie verunsichert die Branche ist, zeigte sich kürzlich auch in der Studie "Chancen und Risiken der aktuellen wirtschaftlichen Lage für Verlage" von der Unternehmensberatung KPMG, die der VDZ in Auftrag gegeben hatte. Auch hier ist viel die Rede vom Ausbau der digitalen Geschäftsfelder. Doch dabei, so schreiben die Autoren, stehe der Journalismus "nicht zwingend im Fokus": Es geht um Reisebüros, Partnerschaftsbörsen, Onlinespiele und Stellenmärkte im Internet. Die Frage, ob hier immer sauber zwischen Journalismus und Marketing getrennt wird, stellte sich bei den Zeitschriftentagen erst gar nicht. Schon jetzt hat die Nutzerin bei manchem Onlineauftritt einer Frauenzeitschrift eher den Eindruck, dass sie in einem Internetshop gelandet ist - und nicht bei einem journalistischen Angebot, das Informationen sortiert und bearbeitet.


Ermäßigte Mehrwertsteuer


Interessant werden könnte diese Frage noch einmal in der Diskussion darum, ob die Mehrwertsteuer für journalistische Angebote im Internet gesenkt wird. Kanzlerin Angela Merkel, die den Verlegern auch in diesem Jahr einen Besuch abstattete, sagte zu, sie wolle diese Frage prüfen, gab aber zugleich zu verstehen, dass dabei die Abgrenzung der "Bereiche, für die entweder der ermäßigte oder der reguläre Umsatzsteuersatz gelten soll", nicht ganz einfach sein werde. Da werden sich die Verleger wohl entscheiden müssen, ob sie im Internet lieber ein Warenhaus betreiben oder zur Meinungsbildung beitragen wollen.

Die Kanzlerin sagte auch noch einmal zu, dass ihre Regierungskoalition sich mit einem Leistungsschutzrecht für Presseverlage beschäftigen wolle. Sie wisse auch um manche Bedenken, die es bei Autoren und in der Internetgemeinde gebe, sagte Merkel. Das Leistungsschutzrecht müsse daher "ausgewogen den Interessen aller Beteiligten gerecht werden - der Autoren, der Verleger, der kommerziellen Nutzer und der Endnutzer". Sie forderte die Verleger zu "aktiver Mitarbeit" auf, "damit wir in diesem sehr spannungsgeladenen Geflecht zu einer vernünftigen Rechtslage kommen".

Doch die Antwort auf die Fragen, wie ein solches Leistungsschutzrecht aussehen könnte, was es überhaupt erfassen soll und wer letztlich für diese Leistungen wie bezahlen soll, blieben die Verleger bei dieser Tagung schuldig. Der Medienrechtler Mathias Schwarz führte einmal mehr aus, warum dieses Schutzrecht notwendig sei. Die Verleger ermöglichten das Entstehen von Zeitschriften, indem sie die wirtschaftliche Verantwortung übernähmen und auch die technischen Voraussetzungen dafür schüfen. Doch reicht es, darauf hinzuweisen, dass die Filmproduzenten ein Leistungsschutzrecht genießen, um zu begründen, dass auch die Verleger ein solches Recht brauchen?


Garantie für die Pressefreiheit


Schwarz fuhr schweres Geschütz auf. Er behauptete, die Presse habe "nur dann eine wirtschaftliche Zukunft, wenn auch die elektronische Presse im Internet einen Schutz bekommt". Er mahnte: "Das Leistungsschutzrecht ist institutionelle Garantie für die Pressefreiheit." Die Behauptung, dass die Pressefreiheit ohne das Leistungsschutzrecht nicht gewährleistet sei, ist ein Totschlagargument, denn wer wollte die Pressefreiheit infrage stellen? Man fragt sich, wie die journalistischen Internetangebote denn in den vergangenen zehn Jahren ohne dieses Schutzrecht existieren konnten. Und man wird das Gefühl nicht los, dass hier eine Gebühr für Journalismus im Internet eingeführt werden soll. Wie es den Verlegern in den vergangenen neun Monaten nicht nur gelungen ist, dieses Thema auf die Agenda zu setzen, sondern es schließlich auch noch im Koalitionsvertrag zu verankern, ist ein Lehrbeispiel für effiziente Lobbyarbeit.

Doch kritische Fragen hatten in Berlin keinen Raum. Einzig Wolfgang Blau, der Chefredakteur von "Zeit Online", merkte kritisch an, die Forderung nach dem Leistungsschutzrecht wirke auf ihn wie ein Rückzugsgefecht einer Branche, die an Realitätsverlust leide.

Auch der Jurist und Manager Eberhard von Koerber, Co-Präsident des Club of Rome (und Mitglied der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft), der wohl eingeladen worden war, um den Blick von außen auf die Branche zu werfen, trug wenig zu Wiedergewinnung der Realität bei. Angesichts der Umbrüche in der Medienbranche erinnerte er an die Ölkrise der 70er Jahre. Sie habe letztlich einen Technologiesprung in der Autoindustrie zur Folge gehabt. Ähnlich müssten sich die Printmedien auf die neue Situation einstellen, forderte er. Er zitierte Studien, nach denen die befragten Verlagsmanager die höchsten Einsparmöglichkeiten in den Redaktionen sähen - und empfahl den Verlagen, noch mehr mit freien Mitarbeitern zu arbeiten. Doch es dürfte kaum eine Branche in Deutschland geben, in der bereits ein so großer Anteil der Produktion von freien Mitarbeitern geliefert wird.

Was die Verleger am meisten verunsichern dürfte, ist die Stärkung der Rolle der Autoren, die sich im Internet beobachten lässt. Blogs und Artikel werden gelesen, weil sie von Autoren verfasst werden, denen die Leser vertrauen. Etwas zu veröffentlichen ist ganz einfach geworden, ob es freilich gefunden wird, steht auf einem anderen Blatt. Dennoch wird der Herstellungs- und Distributionsprozess, den die Verleger gewährleisten, und den sie sich durch das Leistungsschutzrecht sichern lassen wollen, so für viele Autoren überflüssig. Rückzugsgefechte, in der Tat.


Diemut Roether ist Verantwortliche Redakteurin des Fachdienstes epd medien. Ihr Artikel ist in der Ausgabe 93/09 von epd medien erschienen.