Die Bilder bleiben: Mumbai gedenkt der Opfer
Ein Jahr nach dem verheerenden Terrorangriff auf die westindische Finanzmetropole Mumbai (Bombay) sind die Bilder noch allgegenwärtig. Die ersten Aufnahmen vom Abend des 26. November 2008 zeigten schlecht beleuchtete Straßenzüge, in denen Männer wahllos auf Passanten feuerten.

Tags darauf sammelte sich die Weltpresse vor dem lichterloh brennenden Hotel "Taj Mahal" am Stadthafen. Journalisten und Polizisten gingen gemeinsam in Deckung, und es schien, als seien alle vom Ausmaß der Attacke überfordert. Mehr als 60 Stunden lang hielten die Extremisten das Land in Atem - mutmaßlich im Auftrag der pakistanischen Terrorgruppe Lashkar-e-Taiba und zum Sterben bereit.

Bereits in den Monaten davor war Indien von zahlreichen Anschlägen erschüttert worden. Allein in den Großstädten Jaipur, Ahmedabad, Guwahati starben mehr als 200 Menschen. Auch in Delhi gab es zwei Dutzend Tote, als Bomben im Zentrum explodierten. Mumbai allerdings war der traurige Höhepunkt des Terrorjahres 2008. Mehrere prominente Ziele nahmen die Attentäter ins Visier, darunter den Hauptbahnhof, ein jüdisches Zentrum, das "Taj" und ein weiteres Luxushotel. Hunderte wurden als Geiseln festgehalten, mehr als 160 Menschen wurden getötet. Auch neun Extremisten starben. Der einzige überlebende Angreifer, ein 21-jähriger Pakistaner, steht vor Gericht.

Dreister Angriff überfordert Innenministerium

Die Metropole ist inzwischen zum Alltag zurückgekehrt. Doch die Erinnerungen an jene Novembertage haben sich tief ins kollektive Gedächtnis der Stadt gegraben. "Ich glaube nicht, dass die Wunden jemals ganz verheilen werden", sagt Karambir Singh Kang, Geschäftsführer des "Taj"-Hotels. Mit Kollegen brachte der 41-Jährige vor einem Jahr viele Gäste in Sicherheit. Er selbst hat alles verloren. Seine Frau und die beiden Söhne wurden im Hotel ermordet.

Auch für Regierung und Sicherheitskräfte war Mumbai ein tiefer Einschnitt. "Die Dreistigkeit des Angriffs hat unsere dürftigen Geheimdienstkapazitäten, den unzureichenden Küstenschutz und die schlechte Ausrüstung der Polizei schonungslos offengelegt", sagt ein Beamter des Innenministeriums, der es vorzieht, anonym zu bleiben. Vor allem Indiens Medien fragten nach den Angriffen ungewohnt heftig, wie zehn Terroristen mit Booten unerkannt in die Stadt gelangen und über Stunden ihr mörderischen Werk verrichten konnten.

Wirksame Anti-Terror-Strategie erfordert mehr Polizeikräfte

Der unglücklich agierende Innenminister Shivraj Patil musste als erster seinen Hut nehmen. Dessen Nachfolger Palaniappan Chidambaram erklärte bei Amtsantritt: "Was in Mumbai geschehen ist, muss unsere Einstellung zum Terrorismus grundlegend verändern." Eine Rückkehr zur "gewohnten Routine" dürfe es nicht geben. Wenige Tage später kündigte die Regierung die Gründung einer Nationalen Ermittlungsbehörde zur Aufklärung von Terroranschlägen an. Es folgten eine Budgeterhöhung für Geheimdienste, Küstenwache und die Sicherheitskräfte des Innenministeriums. Auch die Anti-Terror-Gesetze wurden verschärft.

"Der Angriff auf Mumbai hat die Verantwortlichen zum Handeln gezwungen", sagt der Sicherheitsexperte Ajai Sahni. "Allerdings ist die Gefahr neuer Anschläge durch die getroffenen Maßnahmen nicht wesentlich verringert worden." Problematisch sei vor allem, dass der Fokus auf der Zentralregierung liege. "Laut Verfassung liegt die Verantwortung für die innere Sicherheit aber bei den Bundesstaaten. Wenn in Indien also eine wirksame Anti-Terror-Strategie greifen soll, müssen vor allem dort die Kapazitäten von Polizei und Geheimdiensten gestärkt werden", erläutert Sahni. "Das ist bislang nicht passiert."

Pakistan und Indien müssen sich annähern

Premier Manmohan Singh warnte unlängst noch einmal eindringlich vor Anschlägen, wobei er die Gefahr erneut aus dem Nachbarland kommen sieht. Es gebe Hinweise darauf, dass Terrorgruppen aus Pakistan neue Anschläge in Indien planten, sagte er. Daher sei es die "Pflicht" der Regierung in Islamabad, die Infrastruktur der Terroristen endlich zu zerschlagen. Innenminister Chidambaram drohte sogar unverhohlen mit "nachdrücklichen Konsequenzen", sollte dies nicht geschehen.

Nach der diplomatischen Eiszeit um die Jahreswende 2008/2009 und ungeachtet der aggressiven Rhetorik zeichnete sich zuletzt jedoch wieder eine Annäherung zwischen den Atommächten ab - auch weil Pakistan inzwischen gegen Lashkar-e-Taiba und andere Gruppen vorgeht. So bekannten sich beide Regierungen im Juli in einer gemeinsamen Erklärung dazu, dass "Dialog der einzige Weg nach vorne ist". Bis zu einer Entspannung in Südasien ist es jedoch noch ein weiter Weg.

In Mumbai soll an diesem Donnerstag mit einer Menschenkette, Gebeten und zahlreichen weiteren Veranstaltungen der Opfer gedacht werden. Zehntausende werden dazu erwartet - und alle werden die Bilder jener Novembertage wieder vor Augen haben.

dpa