In Georgien: Evangelisch und in der Minderheit
Zwischen Asien und Europa liegt Georgien, ein Land voller Probleme. Johannes Keller hat das Land, von dem kaum jemand etwas weiß, aus der Nähe kennen gelernt. Dies ist sein Bericht aus dem Gemeindepraktikum, dass er bis zum September bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Georgien absolvierte, die mit ihren 1.000 Mitgliedern in dem ansonsten orthodoxen und muslimischen Land nur eine Minderheit ist.
24.11.2009
Von Johannes "Jones" Keller

Als ich im Juli in mein Flugzeug nach Georgien stieg, war mir doch ein wenig flau im Magen. Ich hatte ja keine Ahnung, was mich erwarten würde. Ich fragte mich, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, mich für mein zweimonatiges Gemeindepraktikum, das ich im Rahmen meines Theologiestudiums absolvieren muss, bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche (ELKG) in Georgien zu bewerben. Ich wusste nur, dass ich am Flughafen in Georgiens Hauptstadt Tbilisi (Tiflis) abgeholt werden sollte – mehr nicht.

Nach meiner Ankunft war meine erste Aufgabe, mit 22 Kindern zum Ferienlager in ein Selbstversorgerhaus in der Stadt Kwareli zu fahren. Anfangs war es für mich schwierig mitzuarbeiten, unter anderem weil ich kein Wort Georgisch sprach. Auch die wenigen Sätze Russisch, die ich noch in einem Schnellkurs in Deutschland gelernt hatte, waren viel zu wenig, um als Leitung mit den Kindern Programm zu machen. Ein weiteres Problem war meine "Gastrolle": Die anderen Leiterinnen und Leiter brachten mir die größte Gastfreundschaft entgegen, um mich willkommen zu heißen. Aber ich wollte ja mithelfen und nicht bedient werden.

Umgang mit Kindern wesentlich autoritärer

Schließlich musste ich lernen, dass ein Lager in Georgien ganz anders ist als ein Kinderstufenlager bei uns im Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP). Es ist mehr wie ein Urlaub in der Großfamilie. Die Leitung haben meist Frauen aus der Gemeindearbeit; sie übernehmen sozusagen die Mutterrolle. Auch die Küche ist fest in der Hand von Damen, die unermüdlich damit beschäftigt sind, die Gruppe viermal am Tag mit einer Mahlzeit zu versorgen. Die jüngeren Mitarbeitenden, ungefähr im Ranger/Rover-Alter, nehmen die Rolle der älteren Geschwister ein. Insgesamt ist der Umgang mit den Kindern wesentlich autoritärer als bei uns.

Insbesondere über die Notwendigkeit von Strafen und die allgegenwärtige Trillerpfeife habe ich mit den Leitungen diskutiert. Wir konnten uns dann darauf einigen, dass die Trillerpfeife im Schrank bleiben sollte. Die Tage im Lager waren wunderschön. Am Ende waren es natürlich die Kinder, die durch ihre unbefangene und offene Art dafür sorgten, dass ich mich unglaublich wohl fühlte und das Lager für alle ein Erlebnis wurde.

Treffen der Generationen

Mit dem Ende der Ferienzeit hat nun der Alltag im Gemeindeleben in Tbilisi und den andern Gemeinden wieder begonnen. Mein Tag beginnt mit einem Kraftfrühstück, das mir meine Gastmutter jeden Morgen hinstellt, bestehend aus Hafergrütze, Weizenschrot, Griesbrei oder Käsenudeln. Dazu gibt es immer Tee und mit etwas Glück auch einen Nescafé. Zusätzlich isst man georgischen Käse und Honig. Auf meinem Weg zur Kirche sind die Straßen meist noch ruhig und leer. In Georgien steht man später auf als in Deutschland und lässt den Tag ruhig angehen. Meine Gastmutter schlägt immer wieder die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich mein Frühstück auf 8.30 Uhr bestelle.

Meine täglichen Aufgaben sind die Planung und Durchführung einzelner Projekte. Ein Projekt der Gemeindejugend kümmert sich darum, dass den Bewohnerinnen und Bewohnern des Seniorenwohnheims jeweils eine Jugendliche oder ein Jugendlicher zugeteilt wird, um mindestens einen Nachmittag in der Woche gemeinsam zu verbringen. Zusammen mit einer Jugendlichen aus der Gemeinde konnte diesem Projekt jetzt zum Start verholfen werden und das erste Treffen der Generationen hat stattgefunden. Hoffentlich geht es so weiter.

Es fehlt Georgien an Motivation

Insgesamt kommen allein in Tbilisi etwa 20 Jugendliche zwischen 14 und 22 Jahren regelmäßig zusammen – leider ohne erkennbaren Inhalt in ihrer Arbeit. Es fehlt ihnen an Motivation, sich Ziele für ihre Arbeit zu setzen. Dies ist ein allgemeines Problem in Georgien, nicht nur der jungen, sondern auch der älteren Menschen. Die hohe Arbeitslosigkeit, das schlechte Ausbildungssystem, die allgegenwärtige Armut und die trüben Zukunftsaussichten nehmen den Menschen die Motivation sich zu engagieren. In der Gemeinde in Tbilisi gibt es ein großes Potential toller junger Menschen, aber die Motivation und die Initiative, selbst etwas auf die Beine zu stellen, kommt einfach nicht zu Stande. Hier bestünde eine tolle Möglichkeit für einen deutschen VCP-Stamm, sich zu engagieren. Eine Partnergruppe könnte die Jugendlichen anleiten und motivieren inhaltlich sinnvolle christliche Jugendarbeit anzubieten.

Mir bleiben noch drei Wochen hier in Tbilisi. Die Arbeit macht mir großen Spaß und ist eine Herausforderung. In Georgien gibt es viele Probleme, aber das hindert die Menschen nicht daran, unglaublich freundlich, herzlich und hilfsbereit gegenüber Fremden zu sein. Besonders schön finde ich es an den Wochenenden mit einem der drei Pastoren oder der Pastorin zu den anderen Gemeinden aufs Land zu fahren, um Gottesdienste zu halten. Dort werden wir immer freudig erwartet. Nach den Gottesdiensten sitzen wir meistens noch lange zusammen, trinken Tee, essen Melone, lachen und reden. Meine Russischkenntnisse sind inzwischen so weit fortgeschritten, dass ich mitreden kann.


Georgien liegt in Vorderasien und grenzt u. a. an das Schwarze Meer. Die Hauptstadt ist Tbilisi (Tiflis) und Amtssprache ist Georgisch. Das Land ist mit ca. 69.700 Quadratkilometern etwa so groß wie Bayern. Georgien ist eine präsidiale Republik und zählt ca. 4.500.000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Georgien (ELKG) hat ihre Wurzeln in den Jahren 1817/18, als deutsche Familien, überwiegend aus Württemberg, dem Ruf des russischen Zaren folgten und übersiedelten. Etwa 50.000 Schwaben zogen in den südlichen Kaukasus (Georgien, Armenien und Aserbaidschan), gründeten Dörfer, brachten ihre Kultur, ihren Glauben und ihre Sprache mit. Die ELKG hat momentan ca. 1.000 Mitglieder.


Johannes Keller ist Mitglied im Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP), Theologiestudent und war von Juli bis September 2009 in Georgien.