Drei Gottheiten prägen die spirituelle Welt des PC-Rollenspiels Gothic, und es ist gar keine Frage, dass der ansonsten recht weltlich gestimmte Held des Spieles an diese Gottheiten glaubt. Es ist ein mittelalterliches Universum, in dem sich die Geschichten rund um den Kampf zwischen Menschen, Orks und bösen Mächten abspielen. Innos, der Gott der Gerechtigkeit, Beliar, der dunkle Aufrührer, und Adanos, der Gott des Ausgleichs zwischen Regelgehorsam und Aufbegehren – diese drei anzuweifeln, kommt den Figuren des Spieles nicht in den Sinn.
Wohl aber entscheidet man als Spieler, in welchem Verhältnis der Held zur göttlichen Dreiheit steht. Und damit kann, wenn man sich darauf einlässt, plötzlich die Sehnsucht nach einem unbefangenen kindlichen Glauben auferstehen, nach einem persönlichen Gott, unter dessen Segen man die Abenteuer des Lebens besteht und der jederzeit erreichbar ist, um Trost und Hilfe zu spenden.
Tröstliche Priester mit dunklen Stimmen
Wer diese Art von PC-Rollenspiel nicht kennt, wird über solche Gefühle vielleicht lachen. Doch ist man als Spieler – so witzig, klug und stark der junge Held auch ist, den man mit Maus und Tasten lenkt – ja auch sonst ein spielendes Kind, das sich mit Leib und Seele einer spannenden Geschichte hingibt und ziemlich ungebrochen die Gefühle rund um Triumph und Freude, Wut, Trauer und manchmal auch der Ergriffenheit über das epische Geschehen in einer wilden Märchenlandschaft auslebt.
Wenn man, in schöner Identifikation mit dem Helden, durch einsame Nachtlandschaften wandert, in abgelegenen Bergen die Drachen besiegt, von Freunden verlassen und mit letzter Kraft den Weg zurückfindet, nur um bald darauf wieder aufbrechen zu müssen, dann liegt es so nahe, an einem Wegschrein niederzuknien, um zu Innos zu beten, und es ist tröstlich, sich an einen der Priester in der Stadt zu wenden, nicht, weil man damit Punkte im Spiel machen will, sondern einfach nur, um ihre dunklen, gelassenen Stimmen zu hören, mit denen sie einen Segen aussprechen, der nicht viel anders klingt als der liturgische Segen in einem christlichen Gottesdienst: "Innos, das Licht der Sonne und das Feuer der Welt, segne diesen Mann, deinen erwählten Diener. Schenke ihm Mut, Kraft und Weisheit, dem Weg zu folgen, den du ihm bestimmt hast."
Die Gottesnähe bringt Vorteile
Was vielen Menschen, auch Jugendlichen, im realen Leben oft schwer fällt, nämlich in einer entzauberten, von naturwissenschaftlichen Kausalitäten geprägten Welt ein inniges Verhältnis zu Gott aufzubauen - im Spiel kann das gelingen. Hier sind die Götter so unmittelbar, beweisen ihre Gegenwart durch das Geschenk der magischen Waffen, durch die direkte Reaktion auf Opfergeld, das sofort mit Stärke- oder Geschicklichkeitspunkten honoriert wird, und durch Priester, die zugleich große Magier sind.
Wem Innos zu streng ist, wem die feste Hierarchie seiner Feuermagier und der "Streiter Innos'", der Paladine, nicht zusagt, der wird nicht zu einem Abtrünnigen, sondern wendet sich den gemäßigten, weisen Wassermagiern zu, die auf Adanos' ausgleichende Gerechtigkeit setzen. Und selbst, wer mit dem Bösen sympathisiert, mit Beliar, befindet sich immer noch in Beziehung zur göttlichen Dreiheit. In ihrer Einheit ergeben die drei Gott-Brüder eine Gottheit, die sich durchaus in Beziehung setzen lässt zu dem Gott, wie er im naiven Kinderglauben erscheint.
Sehnsucht nach einem erreichbaren Gott
Nicht alle Spieler nutzen die Gelegenheit, im Spiel zu einem unbefangen gottesfürchtigen Helden zu werden, der auch dann betet, wenn es ihm keinen direkten Vorteil bringt, und der seine Handlungen an einer Moral orientiert, die sich mit der Gottesfurcht vereinbaren lässt. Das ist auch keineswegs gefordert. Doch verpasst man dann eine Gelegenheit, in sich hineinzuhorchen und sich zu fragen, was dran ist an der Sehnsucht nach einem erreichbaren, väterlichen Gott, dem man frei und arglos gegenübersteht steht. Strafen wegen mangelnder Gläubigkeit sind im Spiel nicht vorgesehen.
In einer frühen Szene muss der Held den frommen Tischler Thorben auf seine Seite bringen. Gefragt, ob er den Pflichten des Glaubens nachkomme, hat er zwei Antwortmöglichkeiten. "Ähm, nun ja..." oder: "Demütigst, Meister Thorben!" Auch die zweite Antwort enthält ein ironisches Element und nicht umsonst grinst der Held, wenn er sie abgibt. Doch wer das Spiel zum zweiten, dritten, vierten Mal durchspielt und erfahren hat, dass die Gothic-Götter ihre Gnade spenden, auch ohne umworben zu werden, wird geneigt sein, ganz ohne Ironie zu antworten.
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"Glaubst du an Gott?" – "Demütigst!" Es hätte was, dieses Gefühl in die reale Welt mit hinübernehmen zu können.
Cornelia Kurth ist freie Journalistin und schreibt für evangelisch.de.