"Keine Ethik" kann sich kein Unternehmen leisten
Massenentlassungen, Mitarbeiterbespitzlungen, Umweltverschmutzung – Themen, die die Schlagzeilen der Medien in diesem Jahr beherrschen. Da bleibt die Frage nach ethischem Handeln der Wirtschaft nicht aus. Spielt Ethik überhaupt eine Rolle? Ein Problem, mit dem sich auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) beschäftigt. Und die deshalb eine Studie zum Thema "gelebte Unternehmensethik" in Auftrag gegeben hat.
21.11.2009
Von Maike Freund

60 Führungskräfte aus fünf deutschen Konzernen befragten die Soziologin Veronika Drews und die Politikwissenschaftlerin Tabea Spieß mit Hilfe von Interviews. Das Ergebnis: Entscheidend für ethisches Handeln im Unternehmensalltag ist, wie groß der Rückhalt der Mitarbeiter im Unternehmen ist. "In den Unternehmen wird um das Thema Ethik keine großen Worte gemacht", sagt Drews und das besorgt sie. Eher sei es "praktisches Handlungswissen, das nicht reflektiert, sondern angeordnet wird". Auch Faustregeln wie "Wir handeln vernünftig" oder "Bei uns gibt es so was nicht" – Regeln, die auf den zehn Gebote basieren – seien im Unternehmensalltag gängig.

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Aber was ist Ethik? Und was genau ist Wirtschaftsethik? Josef Wieland, Professor an der Hochschule Konstanz mit dem Schwerpunkt Unternehmensethik, versucht eine Erklärung. Er unterscheidet in persönliche Vorstellungen – idealistisches Wollen, das ohne Marktpreis besteht – und politische Regeln, die in Unternehmen gelten. Diese müssten erst einmal vermittelt und dann verhandelt werden. Einen weiteren Ansatz gibt Peter Clever, Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): "Jedes auf nach Nachhaltigkeit ausgerichtetes Wirtschaften hat die größte Chance erfolgreich zu sein und ist automatisch auch ethisches Wirtschaften."

Kirche muss Fehlverhalten der Wirtschaft aufzeigen

Ethik - ein Trendthema, auch wegen der Wirtschaftskrise, das schnell wieder verpuffen kann? Clever glaubt das nicht: "Ich glaube, der Schock, der kurz bevorstehenden Kernschmelze unseres Finanzsystems sitzt so tief, dass die Realwirtschaft ein Stück selbstbewusster wird, sie befreit sich ein bisschen von der Finanzwirtschaft." Deshalb würden wieder mittel- und langfristige Perspektiven – die dem Unternehmertum viel näher lägen als das kurzfristige Zocken – in den Vordergrund der Unternehmensphilosophien rücken.

"Traditionell beißen sich Kirche und Wirtschaft", sagt Rainer Meusel, Initiator von "Arbeit Plus", einem Arbeitsplatzsiegel der EKD. Denn die Aufgabe der Kirche sei es auch, Fehlverhalten der Wirtschaft anzuprangern. "Es hat jedoch keinen Zweck, dass die Kirche immer nur auf ethische Missstände aufmerksam macht, wenn es auch gute Beispiele gibt." Um diese Unternehmen auszuzeichnen, schuf die EKD vor zehn Jahren das Gütesiegel "Arbeit Plus". Das Arbeitsplatzsiegel wird jährlich vom EKD an Unternehmen verliehen, die überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze schaffen oder sichern.

In der globalisierten Ethik spielt jeder anders

Dieses Jahr zeichnete die EKD acht Unternehmen mit dem Gütesiegel aus, darunter Bayer Material Science, eine Gesellschaft des Leverkusener Konzerns, für ihr "vorbildliches Engagement für Auszubildende" und die Start Zeitarbeit NRW für ihre "eindrucksvolle Integration von Langzeitarbeitslosen und älteren Arbeitnehmern" auf dem Arbeitsmarkt. "Kein Unternehmen kann es sich leisten, keine Ethik zu betreiben", sagt Josef Wieland, Professor an der Hochschule Konstanz, weil der gute Ruf darunter leiden und daraus der Marktausschluss folgen könnte.

Der Knackpunkt bei Ethikfragen ist für Wieland die Globalisierung. Denn es gebe kein gemeinsames Territorium, keine gemeinsamen weltweiten Werte. Ein Beispiel: Kinderarbeit: "Wo beginnt Kinderarbeit? Wo endet sie? Ist man Kind, bis man mit der Ausbildung fertig ist, von 0 bis 27 Jahren? Ist es Kinderarbeit, wenn ein achtjähriges Mädchen den Lebensunterhalt der Familie mitfinanzieren muss?" Es sind die unterschiedlichen Sichtweisen der Kulturen, die die Beurteilung schwierig machen. "Globalisierte Ethik ist wie eine Fußballweltmeisterschaft, bei der sich jede Mannschaft nach unterschiedlichen Regeln richtet. Die eine spielt ohne Schiedsrichter, für andere gelten unterschiedliche Fair-Play-Regeln." Ziel müsse es sein, ein transkulturelles Band zu knüpfen.


Maike Freund ist freie Journalistin aus Dortmund und schreibt für evangelisch.de.