Die Zukunft mit dem Kindeswohl im Blick gestalten
20 Jahre ist es jetzt her, dass die Vereinten Nationen die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedeten. Deutschland war damals am 20. November 1989 dabei, aber an der Umsetzung hapert es auch hierzulande noch. Noch immer gelten die Schutzrechte des Kindes nicht so uneingeschränkt, wie es die Konvention vorsieht. Das Recht des Kindes muss sich beispielsweise zu oft dem Recht der Eltern unterordnen. Daher fordert eine breite Koalition aus Vereinigungen, Verbänden und Organisationen die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz.
20.11.2009
Von Hanno Terbuyken

"Um den Bedürfnissen, Ansprüchen und Rechten von Kindern in Deutschland mehr Geltung zu verschaffen, müssen die Kinderrechte endlich auch in unserem Grundgesetz verankert werden“, sagte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse anlässlich des Jubiläums bei einer Konferenz in Berlin. Thierse ist Schirmherr der "National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland", in der sich mehr als 100 gesellschaftliche Organisationen zusammengeschlossen haben, um für Kinderrechte einzustehen.

Thierse führte weiter aus, dass Deutschland schon 1992 die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert hat. "Gesetzgeber, Verwaltung und Gerichte sind daher verpflichtet, die Umsetzung der in der Konvention festgehaltenen Kinderrechte zu garantieren. Das Beispiel der Bankenkrise zeigt jedoch, dass Gier und schnelle Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf langfristige Folgen zu extremen Belastungen der nachwachsenden Generation führen", sagte der Kinderrechts-Schirmherr.

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Damit machte Thierse deutlich, was auch die übrigen 40 erwachsenen und 40 Jugendlichen Teilnehmer der Konferenz betonten, darunter Dr. Petra Bahr, Kulturbeauftragte der EKD, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Oliver Bierhoff, Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt, diverse Bundestagsabgeordnete und die deutschen UN-Jugenddelegierten Emily Bünting und Falko Mohrs: Eine Bewältigung der Zukunftsprobleme, die sich unmittelbar auf unsere Kinder und Enkel auswirken werden, ist nur möglich, wenn die Interessen der nachrückenden Generationen dabei angemessen beachtet werden.

Das Kindeswohl muss Vorrang haben

Dies entspricht Artikel 3 der Kinderrechtskonvention, nach dem bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes Vorrang haben muss. "Wer den Anspruch erhebt, verantwortlich für Kinder zu handeln, der muss ihre Rechte bei allen Entscheidungen berücksichtigen und zwar ausdrücklich und öffentlich", erklärte Dr. Sabine Skutta, Sprecherin der National Coalition.

"Um die Probleme von morgen zu lösen, müssen wir heute handeln", sagte Dr. Jörg Maywald, ebenfalls Sprecher der National Coalition. "Besonders dringliche Aufgaben der gerade begonnenen Legislaturperiode sind unter anderem die längst überfällige Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention durch die Bundesregierung, da diese die Rechte von Flüchtlingskindern erheblich einschränkt, die Schaffung eines chancengerechten und inklusiven Bildungssystems für alle Kinder und die Bekämpfung der Kinderarmut."

Bislang gilt in Deutschland die Kinderrechtskonvention nur in Verbindung mit einer Vorbehaltserklärung, die bei der Ratifizierung 1992 vorgelegt wurde und nach Angaben der "National Coalition" unter anderem Flüchtlingskinder in Deutschland von der uneingeschränkten Gültigkeit der Kinderrechte ausschließt. Wörtlich heißt es in der "Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens über die Rechte des Kindes" vom 10. Juli 1992 unter anderem: "Die Bundesrepublik Deutschland erklärt zugleich, dass das Übereinkommen innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung findet. Es begründet völkerrechtliche Staatenverpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland nach näherer Bestimmung ihres mit dem Übereinkommen übereinstimmenden innerstaatlichen Rechts erfüllt." Weiter heißt es: "[A]uch kann keine Bestimmung dahin ausgelegt werden, dass sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthalts zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen."

Kinderrechte sollen vorbehaltlos gelten

Diese Vorbehalte müssen weg, fordert die "National Coalition", stattdessen gehörten die Kinderrechte ins Grundgesetz. Das "Aktionsbündnis Kinderrechte" – der Deutsche Kinderschutzbund, das Deutsche Kinderhilfswerk und UNICEF – bringt dies auf sechs Kernforderungen (PDF), die verfassungsmäßig garantiert werden sollen:

  • Der Vorrang des Kindeswohls bei allen Kinder betreffenden Entscheidungen;
  • Das Recht des Kindes auf Anerkennung als eigenständige Persönlichkeit;
  • Das Recht des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung;
  • Das Recht des Kindes auf Schutz, Förderung und einen angemessenen Lebensstandard;
  • Das Recht des Kindes auf Beteiligung, insbesondere die Berücksichtigung seiner Meinung entsprechend Alter und Reifegrad;
  • Die Verpflichtung des Staates, für kindgerechte Lebensbedingungen Sorge zu tragen.

Im Hintergrund stehen die Forderung nach einer stärkeren staatlichen Verpflichtung auf Kinderrechte, ein besserer Schutz von Kindern und den Vorrang des Kindeswohls bei allen Entscheidungen, die Kinder betreffen. Es geht dem Aktionsbündnis nicht darum, die Rechte der Eltern zu schwächen, es geht aber sehr wohl darum, Kindern eine bessere Stellung und dem Staat eine stärkere Wächterfunktion gegen Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung von Kindern zu verschaffen.

Auf der Berliner Konferenz benannten die Teilnehmer insbesondere die Erweiterung von Mitbestimmungsrechten, die Umsetzung eines sicheren und ökologisch vertretbaren Energiekonzepts und die Schaffung eines Individualbeschwerderechts zur UN-Kinderrechtskonvention als wesentliche Themen. Gefordert wurde ebenfalls der Aufbau eines umfassenden Monitoring der Kinderrechte in Deutschland, sozusagen eines Kinderrechte-TÜVs.

Die Texte der Kinderrechtskonvention gibt es online an verschiedenen Stellen:


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Wissen.