In Deutschland sind 32 Spiele der 2. und 3. Liga sowie der Regional- und Oberliga betroffen. Acht weitere Länder sind ebenfalls im Visier - größtenteils sollen Erstligaspielen betroffen sein. Knapp fünf Jahre nach den Wettbetrügereien um den Schiedsrichter Robert Hoyzer verfolgen Staatsanwaltschaft und Polizei ein Korruptionsgeschehen ungeahnten Ausmaßes. Rund 200 Spiele stehen unter Manipulationsverdacht, es gebe "bisher über 200 Tatverdächtige", teilten die Staatsanwaltschaft Bochum und die Polizei am Freitag auf einer Pressekonferenz mit. Sie sprachen von der Spitze eines Eisbergs. Der Leiter der UEFA-Disziplinarkommission, Peter Limacher, erklärte: "Das ist der bisher größte Skandal im Fußball."
Auch ein erster Spieler in Deutschland ist bereits verhaftet worden. Dabei handelt es sich um einen Spieler des Landesligisten Würzburger Kickers. Wie der Verein auf seiner Internetseite mitteilt, wurde der Spieler bereits am Donnerstag verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Der Verein hat den Spieler bereits suspendiert. Außerdem soll der Fußballer bereits in einen früheren Wettskandal verwickelt.
Bisher wurden 15 Menschen verhaftet, darunter auch Ante Sapina. Sapina sei am Donnerstag in Berlin festgenommen worden, erklärte Rechtsanwalt Stefan Conen am Freitag. Der 33-jährige Sapina war als mutmaßlicher Drahtzieher des Manipulationsskandals um Hoyzer 2005 vom Landgericht Berlin zu zwei Jahren und elf Monaten Haft verurteilt worden.
"Zutiefst betoffen"
Die Europäische Fußball-Union UEFA zeigte sich zufrieden über die Ermittlungsresultate. "Andererseits sind wir aber auch zutiefst betroffen vom Ausmaß abgesprochener Spielmanipulationen internationaler Banden", sagte Limacher. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und der Ligaverband DFL sicherten ihre "uneingeschränkte Unterstützung" zu. "Wir sind froh, dass die staatlichen Behörden mit hoher Kompetenz und der gebotenen Ernsthaftigkeit allen Verdachtsmomenten nachgehen", sagte DFB-Präsident Theo Zwanziger.
Im November 2008 waren die Ermittler über abgehörte Telefongespräche in der Rotlichtszene im Ruhrgebiet auf die Betrügereien aufmerksam geworden. Seit Anfang 2009 stehen Spiele, 32 davon in Deutschland, unter Manipulationsverdacht. Die Ermittlungen sollen noch Monate andauern. Die 1. Bundesliga ist bisherigen Ermittlungsergebnissen nicht betroffen, wie Staatsanwaltschaft und Polizei mitteilten. Unter Manipulationsverdacht stehen demnach 4 Zweitliga-, 3 Drittliga-, 18 Regionalliga und 5 Oberligaspiele. Auf internationaler Ebene sind auch drei Spiele der Champions League, zwölf Spiele der Europa League und ein Qualifikationsspiel zur U21- Europameisterschaft im Visier der Ermittler.
Heftige Reaktionen
Bundesliga-Vertreter äußerten sich geschockt. "Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Ein Bundesligaspiel zu manipulieren, ist schlichtweg undenkbar", der Vorstandsvorsitzende von Eintracht Frankfurt, Heribert Bruchhagen. "Diese Betrüger müssen drakonisch bestraft, ausgemerzt werden, weil es sonst unseren Sport kaputt macht", so Jürgen Marbach, der Geschäftsführer des deutschen Meisters VfL Wolfsburg. "Ich hätte vorher immer ausgeschlossen, dass so was im deutschen Fußball möglich ist", sagte Jörg Schmadtke, der Manager von Hannover 96.
Hajo Sommers, der Präsident des Zweitligisten Rot-Weiß Oberhausen erklärte, es sei ein Irrglaube gewesen, davon auszugehen, dass Wettmanipulationen aufhören, "nur weil vor einigen Jahren mal zwei Betrüger verhaftet worden sind. So lange gewettet werden kann und es geldgeile Menschen gibt, wird weiter versucht, auf diese Art zu betrügen." Aus ermittlungstaktischen Gründen wollte der zuständige Staatsanwalt weder Namen von Verdächtigen noch die betroffenen Spiele und beteiligten Vereine nennen. Die Staatsanwaltschaft Bochum ist eine Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Korruption.
Spieler des VfL Osnabrück verwickelt?
Nach Informationen der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitag) sollen Spieler des VfL Osnabrück in mögliche Spielmanipulationen in der 2. Bundesliga verwickelt sein. Nach Angaben der Zeitung verdächtigt die Staatsanwaltschaft Bochum als Drahtzieher einen 34- Jährigen, der mit Hilfe von VfL-Profis zwei Spiele aus der vergangenen Saison manipuliert haben soll. Bei den Partien soll es sich um die Auswärtsspiele der Osnabrücker beim FC Augsburg (0:3) am 17. April und beim 1. FC Nürnberg (0:2) am 13. Mai diesen Jahres handeln. Der Mann soll am Donnerstag verhaftet worden sein.
Niemand sei bisher auf den FC Augsburg mit Informationen oder Ermittlungen zugekommen, teilte der Zweitligist mit. Man werde "selbstverständlich alles in seiner Macht stehende für eine lückenlose Aufklärung tun." Der Ex-Osnabrücker Nico Frommer, heute bei RB Leipzig aktiv, sagte: "Gegen Nürnberg ist mir nichts aufgefallen. Gegen Augsburg gab es ein, zwei krasse Fehler von uns. Aber ob die wirklich mutwillig waren, so weit möchte ich nicht vorgreifen."
Zehn Millionen Euro
Die Betrüger sollen Spieler, Trainer, Schiedsrichter und Offizielle bestochen haben, um Spielausgänge zu beeinflussen. Anschließend hätten die Beschuldigten versucht, hohe Geldbeträge bei europäischen und asiatischen Wettanbietern gesetzt zu haben. Der Gewinn soll insgesamt mehrere Millionen Euro betragen. Ausgezahlt wurden von den Wettbüros in Europa und Asien nach vorläufigem Stand rund zehn Millionen Euro. Da die Erfolgsquote bei den manipulierten Wetten bei etwa 50 Prozent liege, fällt der Reingewinn niedriger aus.
Deutschland ist mit 32 Begegnungen betroffen, darunter vier aus der 2. Bundesliga. Weitere Länder ohne Erstliga-Bezug sind Belgien und die Schweiz. In Österreich, Kroatien, Slowenien, Türkei, Ungarn, Bosnien und stehen indes Erstliga-Spiele im Fokus. In allen Fällen bestehe ein konkreter Verdacht oder sei Manipulation nachgewiesen worden. Festgenomen wurden bislang 17 Verdächtige, davon 15 in Deutschland und zwei in der Schweiz, darunter auch die Drahtzieher. In Deutschland, Österreich, Großbritannien und der Schweiz wurden zudem 50 Objekte durchsucht und zahlreiche Beweismittel sichergestellt. Schwerpunkte der Aktionen in Deutschland lagen in Berlin, Nürnberg und dem Ruhrgebiet. Ob die Hauptverdächtigen auch mit dem Hoyzer-Fall zu tun hatten, wollte die Staatsanwaltschaft nicht sagen.