Religionsbeschimpfung ohne Grenzen?
Es ist 40 Jahre her, dass in der Bundesrepublik die Strafbarkeit von Religionsbeschimpfung weitgehend abgeschwächt wurde. 1969 beschloss die Regierung eine Neufassung des seit 1871 gültig gewesenen § 166 des Strafgesetzbuchs: Bestraft wird nur, dessen Beschimpfung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
19.11.2009
Von Rudolf Grimm

Vorher konnte bestraft werden, wer "dadurch, dass er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgernis gibt". Von Gotteslästerung ist in der sich auf religiöse oder weltanschauliche Bekenntnisse beziehenden Neufassung nicht mehr die Rede. Die bloße Verletzung von Gefühlen oder Überzeugungen wird nicht mehr bestraft - wie etwa die durch ein Satire-Magazin, das in den 1990er Jahren auf der Titelseite ein Kruzifix als Halterung für Toilettenpapier präsentierte mit dem Text "Spielt Jesus noch eine Rolle?".

Doch gibt es immer wieder, wie es auch damals war, Anlässe zur Diskussion der Problematik. So mit dem Argument, dass es bei der Beschimpfung von Bekenntnissen auch um ein gesellschaftliches Miteinander geht. Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW, Berlin) hat zum Thema "Religionsbeschimpfung" eine Sammlung von Beiträgen veröffentlicht. In einem wird geltend gemacht, dass die Gewährung von Freiheit auch immer die Möglichkeit zu dessen Missbrauch einschließe. "Diesen Missbrauch zu bekämpfen, ist für den demokratischen Gesetzgeber eine schwierige Gratwanderung, weil darin immer zugleich die Gefahr begründet liegt, die Freiheitsrechte selbst zu beschädigen, die zu schützen doch das vorrangige Ziel sein muss."

Appell an "Distanz vom eigenen Gefühl"

In diesem Kontext wird auch darauf aufmerksam gemacht, dass eine Religionsbeschimpfung nicht in jedem Fall durch das Recht auf freie Meinungsäußerung und auch nicht durch die ebenfalls in Art. 5 des Grundgesetzes garantierte Kunstfreiheit gedeckt ist. Beide unterliegen, wie es dazu heißt, Schranken, können Grenzen in anderen, ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützenden Bestimmungen der Verfassung finden. Dabei bedürfe es der Klärung im Einzelfall.

Die evangelische Zeitschrift "Zeitzeichen" (Berlin) sprach sich im vergangenen Jahr in einem Beitrag eindeutig für die Freiheit aus. "Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit mögen nicht nur für religiöse Menschen bisweilen eine arge Zumutung sein", heißt es da. Doch wer den Gedanken des Verbots zu Ende denkt, ende zwangsläufig bei der Zensur. "Zensur aber ist die größte Gefahr der Freiheit." Die Autorin appelliert an "Distanz vom eigenen Gefühl". Auch Gelassenheit und Humor könnten nach ihrer Auffassung die neuen Tugenden werden, mit denen sich unsere Gesellschaft aus den Fängen der Angst und Gruppenerregung befreit.

Dass die Intensität religiöser Gefühle in Deutschland unterschiedlich ist, zeigte sich vor einigen Jahren bei einer Berliner Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "Idomeneo". Der Regisseur Hans Neuenfels präsentierte zum Abschluss auf der Bühne dem Publikum die abgeschlagenen Köpfe der Religionsstifter Jesus, Mohammed und Buddha. Proteste gab es praktisch nur von Muslimen.

"Strafbarkeit der Mohammed-Karrikaturen kommt auch in Deutschland in Betracht"

Im Zusammenhang mit den zum Teil gewalttätigen internationalen Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" etwa zur gleichen Zeit heißt es in der EZW- Publikation, in Deutschland könne auch ohne gewalttätigen Aufruhr eine Strafbarkeit solcher Karikaturen in Betracht kommen, soweit anzunehmen ist, dass sie geeignet sind, das Klima der Toleranz gegenüber dem Islam so weit zu erschüttern, dass die hier lebenden Muslime nicht mehr darauf vertrauen können, von der Rechtsordnung vor massiven Anfeindungen geschützt zu werden. "Dabei genügt die objektiv begründete Furcht der Betroffenen, in der Gesellschaft um ihres Glaubens willen diffamiert zu werden, ohne sich dagegen zur Wehr setzen zu können."

Eine Streichung von § 166 aus dem Strafgesetzbuch wird als "falsches Signal" bezeichnet in einer Zeit, "in der religiöse und weltanschauliche Auseinandersetzungen wieder an Schärfe gewinnen". Vorher war in dem Beitrag erwähnt worden, Beschimpfung als Vergehen erscheine in diesem Kontext "vielen in unserer aufgeklärten Gesellschaft als "nicht mehr zeitgemäß"und gilt als Relikt mittelalterlicher Vorstellungen".

Der 79 Seiten umfassende EZW-Text - herausgegeben von Jan Badewien, Direktor an der Evangelischen Akademie Baden - dokumentiert eine dortige Tagung. Themen der Beiträge sind auch Fälle, in denen Künstler den Blasphemie-Vorwurf auf sich zogen, Religionsbeschimpfung im Kleid der Wissenschaft, Religionsbeleidigung im Islam sowie Kritik und Polemik im Buddhismus und der Hindu-Kultur.

dpa