Was bin ich froh, in den 90ern studiert zu haben. Nach 13 Jahren Schullaufbahn mit ausreichend Zeit für Freizeit, Freunde und Feten. Ein ganzes Jahr eher geht es inzwischen los mit der Uni. Das wäre ja an sich nicht so schlimm, doch ein heutiges Studium ist schlicht nicht mehr das, was es mal war – oder sein sollte: Zeit, sich zu orientieren, zu lernen, zu reifen und zu wachsen.
Zeit zum Innehalten muss sein
Was am meisten fehlt, ist die Zeit. Bachelor und Master verlangen die volle, nahezu ununterbrochene Aufmerksamkeit der Studierenden. Und selbst bei anderen Abschlüssen ist der Druck gestiegen – ob nun durch Studiengebühren oder um nicht zu spät auf dem Arbeitsmarkt anzukommen. Klar dreht sich alles um einen guten Job, um Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit. Doch wer heute mit nicht mal Mitte Zwanzig eine Vollzeitstelle antritt, muss mindestens vierzig Jahre durcharbeiten. Und wofür? Damit man zweimal im Jahr in Urlaub fährt, für das neue Auto oder ein Häuschen spart und eventuell eines Tages eine einigermaßen ausreichende Rente bezieht. Natürlich ist das nicht alles, aber es läuft bei allzu vielen Menschen darauf hinaus. Vor allem, wenn sie in ein Bildungssystem und eine Arbeitsmarktpolitik gezwängt werden, die kaum einen Freiraum bieten; nicht zum Innehalten, nicht zum Durchschnaufen oder Genießen.
Lernen kann nicht alles sein
Wer ein Studium beginnt, weiß oftmals nicht, ob dies eines Tages in den später ausgeübten Beruf mündet. Uni-Zeit muss auch Zeit für sich sein, für Orientierung und das Ausprobieren. Praktika und Nebenjobs, ob in der Kneipe, einer Agentur oder am Fließband, sind mindestens so wichtig wie das Büffeln am Schreibtisch. Das Gefühl, nebenbei eigenes Geld zu verdienen (und auszugeben), ist so viel Wert wie die bestandene Klausur. Und im strömenden Regen Flugblätter gegen Tierversuche zu verteilen, kann aus einem späteren einen besseren Juristen machen. Doch auch dafür fehlt die Zeit. Wann, wenn nicht während des Studiums, kann man sie sich nehmen? Wird man sie sich nehmen?
Aus purer Neugier Bücher wälzen
Ein Studium ist nicht nur ein Abschluss. Der alleinige Blick auf Klausuren, Fristen und Noten führt unweigerlich zum Ausschluss des Wesentlichen: dem Leben und Erleben. Es darf nicht sein, dass sich ein Student heute nicht die Zeit nehmen kann, ausführlich und vielleicht auch mehrmals ein Thema zu erfassen; im Philosophie-Studium die Literatur der Existenzialisten einfach aus Freude daran freiwillig im Original zu lesen; im Mathematik-Studium einer Formel aus purer Neugier auf den Grund zu gehen. Oder sich in einer Studentenorganisation zu engagieren. Nicht die Frage, ob man Lust hat, im AStA mitzuarbeiten, spielt heute eine Rolle, sondern ob man es sich leisten kann, zeitlich. Wohl kaum in einer Zeit, in der sich immer mehr Studierende mit Medikamenten dopen, um das Lernpensum zu schaffen.
Parties feiern, wenn einem der Kopf raucht, um den See joggen, mit Freunden den Nachmittag verquatschen – Pustekuchen. All dies ist nahezu Luxus im heutigen Studentenleben. Wer nicht mithält, fliegt aus dem System oder besorgt sich vermeintliche Wunderpillen. Das Wunder des Lebens auszukosten, bringt es nicht mehr, es wirkt nicht schnell genug.
Melanie Huber hat genüsslich fünf Jahre lang Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert. Heute ist sie Portalleiterin von evangelisch.de.