Jetzt gibt es wieder eine ungewöhnliche Tierromanze in der westfälischen Stadt. Wieder ist die Hauptdarstellerin ein verliebter Vogel: Pinguin-Dame Sandy. Sie hat ihr Herz an ihren Tierpfleger verloren.
Der heißt Peter Vollbracht. An diesem kalten Novembermorgen steht er im Gehege und schaut auf die 82 Brillenpinguine, die sich dort tummeln. Sandy ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. "Manchmal ruft sie nach mir", sagt er. "Das hört sich in etwa an wie bei einem Esel." Vollbracht, 47, holt Luft: "Iaaaaa", ruft er. "So ungefähr."
Sie sieht in ihm ihren Partner
Vollbrachts Ruf scheint die Pinguine nicht zu kümmern. Die Tiere, die meist monogam leben, haben gerade Brutzeit und stehen als Paare dicht beisammen. Plötzlich aber löst sich ein etwa 50 Zentimeter großes Tier aus der Masse und watschelt auf den Pfleger zu.
"Das ist Sandy", sagt Vollbracht. Der Pinguin bleibt dicht neben ihm stehen. Vollbracht geht in die Hocke und setzt das Tier auf sein Knie. "Iaaaaa", macht Sandy und reckt sich. "Damit will sie ihr Zusammengehörigkeitsgefühl zeigen", sagt Vollbracht und streichelt Sandys Kopf.
Die seltsame Geschichte zwischen der Pinguin-Dame und dem Pfleger begann schon 1996. Da kam Sandy als fünf Monate alter Pinguin aus dem Nürnberger Zoo nach Münster. Vollbracht kümmerte sich um das Tier, brachte ihm bei, selbstständig zu fressen. Dabei bemerkte er: Anders als die anderen Pinguine ließ Sandy sich gerne anfassen und von ihm aufs Knie setzen. "Anfangs fanden wir das lustig." Was niemand ahnte: "Sandy sah in mir ihren Partner, eine Art Riesen-Pinguin."
Von da an war Sandy ihrem Pfleger verfallen. War er in der Nähe, eilte sie herbei. Hielt er sich im Gehege auf, folgte sie ihm auf Schritt und Tritt. Die Pinguin-Männchen im Gehege waren Luft für sie. Warum das Tier sich so verhielt, weiß keiner so genau. "Wir können es nicht hundertprozentig erklären", sagt Zoodirektor Jörg Adler. Ein Grund sei wohl, dass Vollbracht das Tier als Junges fütterte. "Konditionierungen von Tieren auf Menschen oder Gegenstände sind nicht ungewöhnlich. Ein Beispiel ist der Schwan auf dem Aasee."
Trauer um den Verflossenen
Dem Zoo brachte die verliebte Pinguin-Dame eine Menge Publicity. Weil sie so zutraulich war, besuchte Vollbracht mit Sandy Kindergärten und Seniorenheime. Gemeinsam tourten sie durch Talkshows, waren Gast bei Kerner, Jauch und Co.
Rund zehn Jahre ging das so. Dann schien es, als ob aus Sandy ein "ganz normaler Pinguin" würde. Vollbracht erkrankte - und war zwei Monate nicht im Zoo. Plötzlich interessierte Sandy sich für einen Artgenossen - Pinguin-Männchen Tom. Mit ihm lebte sie fortan ein ganz normales Pinguin-Leben, in diesem Jahr bekamen die beiden sogar zwei Küken. Ihren "Ex" würdigte die Pinguin-Dame keines Blickes mehr.
Doch vor wenigen Wochen endete das Pinguin-Glück. Tom starb. Und Sandy war wieder allein. "Und auf einmal war ich wieder interessant", sagt Vollbracht. Seit etwa drei Wochen kommt sie jetzt wieder angerannt, wenn er in ihrer Nähe ist. Für den Wandel hat Vollbracht eine einfache Erklärung: "Pinguinen geht es um die Arterhaltung. Sandy ist in Brutstimmung und will einen neuen Partner."
Dass er jetzt als Notnagel für Tom herhalten muss, stört ihn nicht. "Wir können eh nichts dagegen machen." Vollbracht sitzt jetzt neben dem Wasserbecken des Pinguin-Geheges und schaut zu, wie Sandy mit Artgenossen wie ein Pfeil durchs Wassers schießt. Obwohl ihm das anhängliche Tier sichtlich Freude bereitet, hofft er, dass es ihm bald wieder die kalte Schulter zeigt. "Bald ist die Brutzeit vorbei", sagt er. "Es wäre schön, wenn Sandy sich im nächsten Jahr dann wieder in einen Pinguin verlieben würde."