Der Kapitän geht von Bord? Das wollen wir doch nicht hoffen. Vielleicht zieht er sich ein bisschen zurück, auf das Promenadendeck, gönnt sich vielleicht sogar einen Moment im Liegestuhl, um auf das Meer zu schauen und die Fahrt zu genießen. Denn Wolfgang Huber hat sie in Fahrt gebracht, seine evangelische Kirche. Der Reformprozess trägt die Bewegung sogar im Namen: "Kirche im Aufbruch". Wolfgang Huber hat unsere Kirche herausgerufen aus der ängstlichen Beobachtung schwindender Mitgliederzahlen, aus dem kräftezehrenden Verteidigen liebgewonnener Gewohnheiten. Er hat ermutigt zum Blick über den eigenen Vorgarten hinaus - auf die eigene Kreativität, auf den Aufbruch, der ja vielerorts schon gärte.
Dabei war es nicht so, dass sein Lockruf in die Freiheit mit begeistertem Jubel begrüßt worden wäre. Viel Schelte gab es im Sommer und Herbst 2006, nachdem das Impulspapier "Kirche der Freiheit" veröffentlicht worden war. Zu viel Managersprache, zu viel McKinsey, zu wenig theologischer Tiefgang, wurde beklagt. Taufquote - das evangelische Unwort des Jahres. Aber der Kapitän ließ sich nicht beirren.
Die evangelische Kirche ist auf dem Weg
Unbeirrbar, aber nicht unbelehrbar verfolgte er weiter sein Projekt, die evangelische Kirche für die Zukunft wetterfest zu machen. Er hörte die Kritik, nahm sie auf und verarbeitete sie. Lenkte um, wo es notwendig war. Mit Erfolg: Bei der Zukunftswerkstatt in Kassel 2009, drei Jahre nach der Veröffentlichung des Impulspapiers, feierten nicht nur mehr als 1.200 engagierte und begeisterte Protestanten aus ganz Deutschland den Aufbruch. Sondern ganz konkret zeigten 100 Beispiele guter Praxis aus den Landeskirchen: Die Kirche ist im Aufbruch, die evangelische Kirche ist auf dem Weg, und zwar auf allen Ebenen.
Doch das ist nicht alles, worüber sich der Kapitän in seiner (vermutlich nur kurzen) Mußestunde im Liegestuhl freuen kann. Denn nicht nur nach innen hat Wolfgang Huber für Aufbruch gesorgt. Nach außen, in der gesellschaftpolitischen Debatte, hat er der evangelischen Kirche ein Gesicht gegeben und den Schwachen, die in dieser Debatte gerne überhört werden, eine Stimme. Er hat den Konflikt nicht gescheut, hat beim Thema Unternehmensethik ebenso klare Worte gefunden wie im Dialog mit den Muslimen oder im ökumenischen Miteinander. Wolfgang Huber wurde gefragt, die evangelische Kirche wurde gehört.
Und nun? Geht der Kapitän von Bord? Er könnte es sich erlauben. Er hat sein Schiff wetterfest gemacht, hat die Segel gesetzt, es auf Kurs gebracht. Er wird sicher nicht im Liegestuhl auf dem Promenadendeck bleiben. Viel eher kann ich mir vorstellen, dass er ein kleines Lotsenboot besteigt und immer ein kleines Stück voranfährt.
Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) ist Bundestagsvizepräsidentin. Seit Mai steht sie als Präses an der Spitze der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).