Störungen im Betriebsablauf (Folge 7)
Unsere Kolumnistin Ursula Ott ist viel unterwegs. Meistens mit der Bahn. Und da meistens im ICE. Über das, was ihr dort passiert, was sie hört und sieht, schreibt sie. Und nein, es ist nicht immer die Bahn schuld.
13.11.2009
Von Ursula Ott

Meine Woche vom 9. bis 13. November

Montag

Ein Land redet sich langsam hinein in die Schweinegrippe-Hysterie. Und wenn es einen Katalysator gibt, dann den Großraumwagen des ICE. Den kann man im Winter ohnehin nur benutzen mit einer gesunden Portion Auto-Suggestion. Nein, ich werde nicht krank, nein, das macht mir gar nix, wenn der Nachbar so laut schnäuzt, ach was, ist bestimmt nicht so schlimm, wenn einer hustet und die Hand nicht vor den Mund hält. Leider gelingt einem diese Methode nur an guten Tagen. An schlechten Tagen funktioniert sie andersrum, aber genau so zuverlässig. Muss auf dem Nebensitz nur einer husten, und schon spürt man dieses Kratzen im Hals. Die Steigerung: In der S-Bahn zum Bahnhof, wo es noch enger und lauter zugeht, brüllt heute morgen eine gestresste Mutter in ihr Handy: "Ja, er spuckt richtig! Ja, seit gestern abend." Hilfe, mir ist auch schon ganz flau. Und ich rücke ein Stück weiter weg, so gut es halt geht im vollen Waggon.

Dienstag

Auf dem Weg nach Frankfurt gleich drei Männer mit Mundschutz im ICE. "Verdirbt uns die Schweinegrippe den Karneval?" hat der Kölner Express heute morgen getitelt, denn morgen ist der 11.11. und damit Auftakt zur jecken Saison. Mundschutz und Nadelstreifenanzug – das geht fast schon als Verkleidung durch, es sieht jedenfalls schön blöd aus. Dabei sind Kölner Arbeitgeber –Schweinegrippe hin oder her – sowieso Kummer gewöhnt. Nach Karneval ist die halbe Belegschaft krank, da reicht schon die übliche Gemengelage aus Bier, schlecht gespülten Gläsern, überheizten Kneipen und langen Warteschlangen in der Kälte. Ein Virus mehr oder weniger, was soll's.

Mittwoch

Der Schock. Der Fußballer Robert Enke hat sich bei Hannover vor den Zug geworfen. In der Bahn gibt es kein anderes Thema. Ich bin mittags in Stuttgart, in der DB Lounge, wo auf einem großen Flachbildschirm N 24 läuft, die Pressekonferenz mit der Witwe. Selten guckt in diesem Warteraum jemand auf den Fernseher, zu geschäftig ist normalerweise dort die Stimmung: Handys, Laptops, Latte Macchiato. Heute stehen wir alle vor dem Fernseher, beeindruckt und sehr still. Wer täglich Bahn fährt, ist oft genug betroffen vom "Personenschaden" bei der Bahn. Hätte man heute in diesem Zug gesessen, der den Fußballer überrollt hat – wäre man genervt? Mitfühlend? Fühlen wir mehr mit einem Fußball-Star, der sich vor den Zug wirft, als mit einem anonymen Selbstmörder, der nur den Fahrplan durcheinander bringt? Ich bin relativ sicher: Alle, die wir heute abend müde am Bahngleis stehen und auf den einfahrenden Zug warten, denken in etwa dasselbe: Wenn der Zug auf einen zu rast, was muss das für ein Gefühl sein, dieser letzte Augenblick Leben. Totale Panik? Totale Ruhe, weil es jetzt kein Zurück mehr gibt? Es ist still heute am Bahnhof.

Donnerstag

Alle Zeitungen am Bahnhofskiosk titeln heute mit dem toten Fußballer. BILD startet eine neue Serie über Depressionen. Wir sollen jetzt alle besser aufeinander aufpassen, ein Stück zusammen rücken. Wie schnell doch die Agenda wechseln kann. Am Montag noch die Devise: Halte Abstand, gib keinem die Hand, rück ein Stück ab vom Nächsten. Aber was ist so eine Grippe schon gegen diese große Traurigkeit? Jetzt also rücken wir zusammen, zumindest bis Sonntag. Dann ist die Trauerfeier für Enke. Danach, so sind die Mediengesetze, wird sich die Schweinegrippe wieder nach vorne drängen in den Schlagzeilen. Und wir horchen dann doch lieber wieder in uns hinein: Ist da schon was? Gliederweh? Halsschmerzen?

Freitag

Ein Gutes hat die öffentliche Diskussion über den Tod des Fußballers: Es gibt eine Debatte über Tabuthemen im Fußball. Der Kölner Stadtanzeiger erinnert an den Selbstmord eines schwulen Fußballers. Sie spielen sich was vor in den Fußballvereinen, sie reden zu wenig ehrlich miteinander. Mir fällt ein, dass wir für "chrismon" vor vier Wochen mit der HSV-Managerin Katja Krauß gesprochen haben, die genau das beklagte: Dass Spieler heute nach dem Abpfiff ihre iPod-Kopfhörer auf die Ohren setzen, anstatt sich miteinander zu unterhalten. Die Dinger sind ja ein Segen, auch ich signalisiere damit im Zug: Lass mich in Ruhe. Der iPod ist eine Art Mundschutz, bloß für die Ohren. Aber manchmal bin ich auch ansprechbar. Zu selten? Am Samstag fahre ich nach Berlin, fünf Stunden hin, fünf Stunden zurück. Viel Zeit zum Nachdenken, Stoff genug gibt es ja nach dieser Woche. Schönes Wochenende!


Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de

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