Der Filmtipp der Woche: "Tannöd"
Finstere Provinz: Andrea Maria Schenkels Bestseller "Tannöd" wurde verfilmt – mit Julia Jentsch und Monica Bleibtreu in den Hauptrollen.
13.11.2009
Von Georg Seeßlen

"Tannöd" von Andrea Maria Schenkel war 2006 der Überaschungsbestseller auf dem deutschen Buchmarkt. Das Buch stellt den Versuch eines dokumentarisch-historischen Kriminalromans aus der finsteren bayrischen Provinz der 50er Jahre dar. Vorbild war ein wahrer Fall aus den zwanziger Jahren. Damals wurden auf einem abgelegenen Bauernhof sechs Menschen getötet, eine ganze Familie samt Magd.

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Im Roman wendet sich der Verdacht schnell gegen einen "Herumtreiber", gleichzeitig gibt es im Umkreis der Familie mit Geiz, Inzucht, Berechnung und Bigotterie eine Fülle weiterer Motive. In 39 knappen Abschnitten montiert die Autorin die Aussagen von Beteiligten und Zeugen, ohne metaphorische Abschweifungen und ohne Identifikations- oder Stellvertreterfiguren. Wer es ist, der da interviewt, beschreibt und montiert, bleibt im Dunklen. Erhellt wird jedoch das Grauen der Nachkriegsgesellschaft im Hinterland, die im Wegsehen und Vertuschen ebenso bewandert ist wie in Gefühlskälte.

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Eine Verfilmung steht dadurch vor einigen Problemen. Nicht nur, dass der nüchterne Montage-Stil sich nur schwer in einen Kino-Plot übersetzen lässt, man muss sich auch entscheiden, ob es eher einer der neuesten deutschen Heimatfilme werden soll, oder doch eine "Bestsellerverfilmung". Die Produktion hat hier versucht, Kompromisse zu finden. Der Film führt mit einer ins Dorf heimkehrenden jungen Frau (gespielt von Julia Jentsch) eine Identifikationsfigur ein. Schauplatz und Sprache erscheinen wie zusammengesetzt, Ort und Zeit sind virtuell. Das macht es für die Zuschauer im Sauerland und in der Eifel zwar ebenso leicht wie für jene im Bayrischen Wald, als allgemeine Provinz-Metapher verliert der Stoff jedoch erheblich an Brisanz.

Historisch genug

So erscheint der Film "Tannöd" nicht historisch genug, um etwas vom Werden der deutschen Gesellschaft zu vermitteln, aber auch wiederum zu historisch, um seine moralische Nutzanweisung aktuell werden zu lassen – wie etwa die Frage zu stellen, wo in der Passivität, im Augenschließen und Verschweigen die Mitschuld beginnt.

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Doch die Aufgabe war schließlich, aus einem merkwürdig quer stehenden Text, der ganz offenbar einen Nerv der gesamtdeutschen Gesellschaft getroffen hat, ein Stück Qualitätskino zu machen. Alle Beteiligten, von der Regie bis zu den Schauspielern, offenbaren dabei viel handwerkliches Geschick und große künstlerische Leidenschaft. Fatalerweise aber war die Aufgabe von Anfang an unlösbar. So bleiben von dem, was eine Wiederbelebung von Heimat als Horror werden sollte, nur die Spuren einander durchkreuzender Konzepte. Das Bild trügt: Dieses Tannöd brennt nicht.

Regie: Bettina Oberli. Buch: Petra Lüschow (Romanvorlage von Andrea Maria Schenkel). Mit Julia Jentsch, Monica Bleibtreu, Volker Bruch, Brigitte Hobmeier, Filip Peters. 96 Min.

epd