Andacht: Das Leiden am Tod behutsam begleiten
Nach dem Tod von Robert Enke gibt es keinen schnellen Trost. Auch christliche Antworten können diesen Tod nicht ungeschehen machen - es bleiben Schweigen, Weinen, Fragen.
12.11.2009
Von Ralf Meister

Der November, der Monat der Toten. Im Grau dieser Wochen, in der Tristheit dieser Tage, sind die Verstorbenen besonders nah. Auf den Friedhöfen liegen Tannenzweige, auf den Gräbern brennen ewige Lichter. Dass dieses Leben vergänglich ist und jeden Augenblick enden könnte, dafür ist man im November besonders sensibel. In diese Stimmung hinein hat die Nachricht vom Selbstmord von Robert Enke viele Menschen erschüttert.

Mich haben die Bilder von der Andacht in der Marktkirche in Hannover und der anschließende Trauermarsch zum Stadion berührt. Was bleibt in der Todesnachricht anderes, als sich aneinander zu halten, gemeinsam zu weinen und sich immer wieder die gleichen Fragen zu stellen, auf die es keine Antworten gibt?

Bekenntnis der Witwe zwingt ins Schweigen

Noch mehr allerdings haben mich die Worte der Witwe bewegt. "Ich habe stets versucht, ihm Perspektive und Hoffnung zu geben. Ich habe geglaubt, mit Liebe können wir das durchstehen." Die einfachen Sätze einer großen Liebe, die die Verzweiflung am Leben nicht überwinden konnte. Solch ein Bekenntnis zwingt ins Schweigen.

In diesen Tagen gilt die stille Anteilnahme den Menschen, die mit Robert Enke ihren Ehemann und Sohn, ihren Vater und guten Freund verloren haben. Solche Anteilnahme braucht oft keine Worte, sondern ist schweigende Begleitung oder eine einfache Geste: eine Umarmung, eine Kerze, mehr nicht.

All die Sätze über die Liebe, "die stark ist wie der Tod" (Hoheslied 8,6) und die die Größte sei zwischen Hoffnung und Glaube und niemals ende, all diese Sätze klingen für eine Weile hohl. Es gibt keinen schnellen Trost. Auch jede christliche Antwort kann diesen Tod nicht ungeschehen machen. Mit den alten Texten und den Glaubenserfahrungen anderer Menschen kann nur das Leiden am Tod behutsam begleitet werden. Die Todesnachricht aber löst zuerst Schweigen, Weinen und Fragen aus. So wie es der Pfarrer und Dichter Albrecht Goes einmal beschrieben hat:

Fühlt es das Weltherz denn nicht,
wenn so viel Liebeskraft stirbt?
Wiegt ihm ein Leben so leicht,
weiß es so eilig Ersatz?
Wir, ach, wissen ihn nicht,
und heißen wohl unersetzlich,
was unsrem Herzen entreißt
der großmächtige Tod.
Wege, ihr oftmals begangenen,
wie endet ihr plötzlich im Dickicht!
Stimme, du zwiesprachvertraute,
einsame, fürchtest du dich?

Sie freilich, die er uns nahm,
der geheime Verwandler,
schweigen sie dunkelen Schlaf,
lauschen sie fernem Gesang?
Oder wär's, dass sie wirklich,
leicht nur ans Gitter gelehnt,
Nachbarn noch hießen
und Freund jeglichem Lassen und Tun?
Wär's, dass wir rufen und sie
kommen, die selig Befreiten,
wär's, und sie blieben für immer
liebend auf unserer Bahn.


Ralf Meister (47) ist Generalsuperintendent in Berlin und gehört zu den Sprechern des Worts zum Sonntag. Bei dem vorstehenden Text handelt es sich um die "Gedanken zur Woche", die der Deutschlandfunk am frühen Freitagmorgen gesendet hat.