Wegen der Wahl von Margot Käßmann zur Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) will die russisch-orthodoxe Kirche ihre Kontakte zur EKD beenden. Das kündigte der Außenamtsleiter des Moskauer Patriarchats, Erzbischof Hilarion Alfejew, am Donnerstag nach Angaben der russischen Tageszeitung "Kommersant" an. Die für Ende November angesetzten Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum des Dialogs zwischen orthodoxer Kirche und den deutschen Protestanten seien auch das Ende der Gespräche. Grund ist offenbar die Tatsache, dass die hannoversche Landesbischöfin eine Frau und geschieden ist.
"Gebot des Respekts, Verschiedenheit auszuhalten"
Nach den Worten des Pressechefs im Moskauer Außenamt, Georgi Sawerschinski, ist der Dialog zwischen der orthodoxen Kirche und der EKD, so wie es ihn seit 50 Jahren gegeben hat, nach der Wahl einer geschiedenen Frau zur Kirchenführerin nicht mehr möglich. Dies widerspreche den "evangelischen Prinzipien". Aus diesem Grund könne es keine Kirchenbeziehungen geben. "Höchstwahrscheinlich werden neue Kommunikationsformen gefunden", so der Geistliche. In letzter Instanz müsse dies aber Patriarch Kyrill I. entscheiden.
Käßmann sagte, zum Grundverständnis der ökumenischen Bewegung gehöre, dass es trotz des unterschiedlichen Kirchen- und Amtsverständnisses eine Gemeinschaft gebe. Das wisse auch die russisch-orthodoxe Kirche. Dieses Thema sei Gegenstand der Gespräche der vergangenen 50 Jahre gewesen. "Es ist ein Gebot des gegenseitigen Respekts, diese Verschiedenheit auszuhalten und doch zu wissen, was Paulus an die Epheser schreibt: Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe", betonte die Bischöfin, die am 28. Oktober zur EKD-Ratschefin gewählt worden war.
Topthema für russische Zeitungen
Der Orthodoxie-Experte des EKD-Kirchenamtes, Johann Schneider, sagte, bezüglich des geistlichen Dienstes von Frauen in der Kirche unterschieden sich die evangelischen, anglikanischen und altkatholischen Kirchen von den orthodoxen. Dieser Unterschied sei bisher kein Hinderungsgrund für fruchtbare zwischenkirchliche Beziehungen gewesen. Als Beispiel verwies Schneider auf die Partnerschaft zwischen der nordelbischen Kirche und der russisch-orthodoxen Metropolie St. Petersburg. Die Begegnungen zwischen der Hamburger Bischöfin Maria Jepsen und dem Petersburger Metropoliten Wladimir seien immer von geschwisterlicher Offenheit geprägt gewesen. "Die EKD ist sich sicher, dass sich den zum Teil sehr jungen russischen Theologen, die seit letztem Jahr im Moskauer Außenamt tätig sind, der reiche Erfahrunsgsschatz ihrer Kirche im Umgang mit den evangelischen Kirchen erschließen wird", erklärte Oberkirchenrat Schneider.
Die Aufkündigung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Kirchen war auf den Seiten mehrerer russischer Zeitungen am Donnerstag das Topthema. "Der Patriarch darf nicht mit der neuen Führerin der Lutheraner in Deutschland verkehren", schrieb die Zeitung "Wremja Nowostej". Die evangelischen Christen in Russland unterstützen offenbar die Entscheidung. Der Chefsekretär der Evangelisch-Lutherischen Kirche Russlands, der Priester Alexander Priluzki, nannte die Wahl Käßmanns ein "Krisenzeichen in der westlichen Gesellschaft".
Zeichen für ideologische Radikalisierung
Russische Menschenrechtler nannten die Abkehr der Orthodoxen von der evangelischen Kirche ein Zeichen für deren zunehmende ideologische Radikalisierung. Die russisch-orthodoxe Kirche wolle sich von der modernen Welt des Westens isolieren, sagte der Menschenrechtler Lew Ponomarjow. Dagegen werden die Beziehungen zur katholischen Kirche nach Angaben des Moskauer Patriarchats zusehends besser. Hilarion hielt ein historisches Treffen von Kyrill und Papst Benedikt XVI. zuletzt für durchaus möglich. Der Vatikan hatte sich in der Frage in jüngster Zeit bedeckt gehalten.
Auf Einladung der EKD hatte erstmals im Herbst 1959 eine hochrangige Delegation des Moskauer Patriarchats Landeskirchen in der Bundesrepublik besucht. Seither gab es regelmäßige Dialogtreffen. Auf ihrer Internetseite bietet die EKD ausführliche Informationen über die Beziehungen zur orthodoxen Kirche. Zuletzt hatten hochrangige Theologen im Februar 2008 in Wittenberg über das Thema "Freiheit und Verantwortung aus christlicher Sicht" beraten.
Margot Käßmann leitet als hannoversche Landesbischöfin seit 1999 die mit rund drei Millionen Mitgliedern größte evangelische Landeskirche in Deutschland. Im Jahr 2002 verließ die promovierte Theologin den Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), weil sich die orthodoxen Mitglieder weigerten, weiterhin ökumenische Gottesdienste zu feiern. Seither galt das Verhältnis Käßmanns zu den orthodoxen Kirchen als gespannt. Nach ihrer Wahl zur EKD-Ratschefin hatte die Bischöfin gleichwohl auf die Bedeutung der Ökumene für ihre künftige Arbeit verwiesen.