Darf man mit dem Leben experimentieren, es manipulieren? Der Streit um das Embryonenschutzgesetz in Deuschland zeigt, dass diese Frage so einfach nicht zu beantworten ist. Denn immer wieder wird dieses Gesetz, das seit 1991 die befruchtete und entwicklungsfähige Eizelle unter Schutz stellt, in Frage gestellt und sogar vor Gericht angegriffen. Bestraft wird, wer eine Eizelle zu einem anderem Zweck befruchtet als zur Schwangerschaft der Spenderin. Ihr Verkauf ist verboten, ebenso wie die künstliche Geschlechtswahl, Leihmutterschaft und künstlicher Befruchtung nach dem Tode. Erst Anfang August untersagte das Landgericht Neubrandenburg die Herausgabe von Eizellen einer Frau, die sich nach dem Unfalltod ihres Mannes mit dessen Samen künstlich befruchten lassen wollte.
Auch viele Mediziner würden das Embryonenschutzgesetz gerne geändert sehen. Sie wollen ihre Bemühungen, Leiden zu lindern, nicht als strafbare Handlung gewertet sehen. Schon 1985 hatte die Bundesärztekammer in ihren Richtlinien zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen dafür plädiert, diese zu genehmigen, wenn hochrangige Forschungsziele vorliegen. Umstritten war dabei von Anfang an, ob bereits die Verbesserung der Befruchtungstechniken diesen Zweck rechtfertige, oder ob verbesserte Diagnostik- oder andere Verwendungsmöglichkeiten vorliegen müssten.
Erfolgreicher künstlich befruchten
Die Fortpflanzungsmedizin hat erst Anfang September in Berlin ein Gutachten für die Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt, das unter anderem für die Zulassung einer spezifischen reproduktionsmedizinischen Methode plädiert: des "elektiven Single Embryo Transfers" (eSET). Nach der künstlichen Befruchtung in der Petrischale (In-vitro-Fertilisation, IVF) sollen mehrere Embryonen einige Tage lang im Labor kultiviert werden, um schließlich den "besten" Embryo auszuwählen, der dann in die Gebärmutter eingesetzt wird. Grundlage dieser Auswahl ist aber keine genetische Untersuchung wie bei der Präimplantationsdiagnostik. Stattdessen wird der Embryo unter dem Mikroskop begutachtet (morphologische Analyse), ob seine physiologische Entwicklung zufrieden stellend verläuft.
Das eSET-Verfahren, schreibt Susanne Schultz vom Gen-ethischen Netzwerk erlaubt es, die Erfolgsrate beim Einsetzen von nur einem Embryo so zu verbessern, dass Zwillings- und Drillingsgeburten nach künstlicher Befruchtung seltener werden. 39 Prozent aller Frauen können Studien zufolge damit rechnen, ein Kind zu bekommen, wenn sie zwei Zyklen mit eSET durchmachen.
Im Gegensatz zur Präimplantationsdiagnostik, die genetische Eigenschaften untersucht, wird bei eSET nur die "normale" körperliche Entwicklung begutachtet, dennoch basiert auch dieses Verfahren auf Selektion – und der Produktion von überzähligen Embryonen. Was mit diesen geschehen soll, wenn sie nicht eingesetzt werden, ist umstritten. Während der Lübecker Gynäkologe Klaus Diedrich, einer der führenden Reproduktionsmediziner Deutschlands, dafür plädiert, diese Frage den Eltern zu überlassen, streiten Juristen darum, ob eSET Teil des weiterhin strengen Embryonenschutzgesetzes werden soll oder ob die überzähligen Embryonen der medizinischen Forschung zur Verfügung stehen sollten.
Genetische Vorauswahl ist illegal
Bei der Präimplantationsdiagnostik ist es dagegen – im Moment nicht legal, aber im Prinzip – möglich, nicht nur das Geschlecht auszuwählen, sondern auch Embryonen, die später als Gewebe- oder Organspender für Geschwisterkinder in Betracht kommen. Bislang gingen die meisten Juristen davon aus, dass diese sogenannte Präimplantationsdiagnose in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten sei, betont der auf Bioethik spezialisierte Rechtsanwalt Oliver Tolmein. Der Berliner Gynäkologe Ingo Stiftler, schreibt Tolmein in seinem FAZ-Blog, habe mit einer Präimplantationsdiagnostik an mehreren Embryonen bewusst gegen das Gesetz verstoßen und sich dann selbst angezeigt. Die große Strafkammer des Landgerichts Berlin erkannte das jedoch nicht als Verstoß an, und die Staatsanwaltschaft ging dagegen in Revision. Der Bundesgerichtshof hat nun das letzte Wort, 2010 wird vermutlich das Urteil erfolgen.
Eines der betroffenen Paare hatten bereits eine durch einen Gendefekt schwerbehinderte Tochter. Die Möglichkeit, dieses Schicksal bei einer zweiten Schwangerschaft zu verhindern, eröffnet den Eltern die Chance auf ein gesundes Kind. Gleichzeitig manipuliert sie die Schöpfung in einer Weise, welche die gesellschaftliche Sicht auf das Leben tiefgreifend verändert, es bewertet und damit der Verfügungsgewalt von Forschern, kommerziellen Unternehmern oder auch individuellen Phantasien unterwirft. Die Möglichkeit, eingreifen zu können, macht aus jeder Chance gleichzeitig eine Schuld – es gibt dabei keine Unschuld mehr.
Das Embryonenschutzgesetz wird in Deutschland täglich verletzt, hat die ZEIT recherchiert: Embryonen werden ausgewählt und einer Qualitätsprüfung unterzogen, die übriggebliebenen werden zur späteren Verwendung auf Eis gelegt oder – in vielen Fällen – vernichtet, wenn die Mediziner ihre Patienten nicht ins Ausland schicken, wo weit weniger strenge Gesetze gelten. Das Gesetz erfüllt also nicht seinen Zweck, es schützt Leben nicht, und muss allein aus diesem Grunde schon neu diskutiert werden.
Stammzellen nicht aus Embryonen gewinnen
Ein ganz anderer, aber sehr wichtiger Aspekt ist die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen, denen man große Hoffnungen bei der Entwicklung neuer medizinischer Therapien zuschreibt. Dies ist in Deutschland nicht erlaubt. 2008 entschied der Deutsche Bundestag, dass deutsche Wissenschaftler nicht nur ältere Stammzelllinien verwenden dürfen, sondern auch solche, die bis zum 1. Mai 2007 im Ausland gewonnen wurden. Der ehemalige Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber, äußerte dazu seinen Respekt, betonte aber, diese Stichtagsverschiebung müsse einmalig bleiben. Die Forschung müsse so schnell wie möglich an einen Punkt gelangen, wo die Stammzellen von Erwachsenen, sogenannte "adulte" Zellen, verwendet werden können.
Japanischen und amerikanischen Wissenschaftlern gelang es kürzlich, adulte Körperzellen zu reprogrammieren, was die Möglichkeit eröffnet, sie zu einem Embryo zu entwickeln. Wenn einzelne Zellen dieses Potential haben, könne man einen Embryo nicht mehr für einzigartig halten, wurde von Bioethikern argumentiert. Andere widersprachen sofort: Nur eine befruchtete Eizelle könne sich ohne Manipulation zu einem eigenständigen Organismus entwickeln. Das sei deshalb ein bedeutsamer moralischer Unterschied.
Dr. Petra Thorbrietz ist freie Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin.