Michael Ende: Die heilende Kraft der Fantasie
Sie sind die Helden ganzer Generationen: Jim Knopf, Lukas, der Lokomotivführer, das Mädchen Momo und der junge Bastian Balthasar Bux, der in eine "Unendliche Geschichte" hineingezogen wird. Und doch musste Ende sein ganzes Leben lang Anfeindungen ertragen.
11.11.2009
Von Rolf Stegemann

Lange bevor der Zauberlehrling Harry Potter die Bühne betrat, ließ der Schriftsteller Michael Ende seine Helden schon gegen grässlich-graue Zeitdiebe und den Verlust der Fantasie kämpfen. Vor 80 Jahren, am 12. November 1929, wurde Michael Ende in Garmisch-Partenkirchen geboren. Er starb 1995 in Stuttgart.

Michael Ende verstand sich als einfacher Geschichtenerzähler - und wurde einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren. Seine Bücher sind in nahezu 50 Sprachen übersetzt. Dabei hatte er seine eigene Lebensgeschichte zunächst ganz anders geplant.

Am Anfang wenig Begeisterung

Der Sohn des surrealistischen Malers Edgar Ende (1901-1965) will zunächst Schauspieler und Bühnenautor werden. Doch der mausgraue Zeitgeist der 50er Jahre findet keinen Gefallen an seinen Arbeiten. Auch seine Kindergeschichte "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer", aus einer Gefälligkeit heraus entstanden, stößt bei den meisten Verlagen auf wenig Begeisterung.

Erst als der Stuttgarter Thienemann Verlag das Buch 1960 veröffentlicht, geht es für Michael Ende bergauf. Die Inszenierungen der Lummerland-Geschichten und ihrer Fortsetzungen ("Jim Knopf und die wilde 13") durch die Augsburger Puppenkiste und die Ausstrahlung im noch jungen Fernsehen sorgen für einen weiteren Popularitätsschub.

Doch mit dem Erfolg wächst auch die Zahl der Kritiker. Das Feuilleton sieht in ihm nicht den ernstzunehmenden Schriftsteller, sondern bloß einen Kinderbuchautoren und wirft ihm Weltflucht vor. Dem Kritiker Marcel Reich-Ranicki werden die Worte nachgesagt: "Zum Phänomen Ende äußere ich mich nicht."

Wegbereiter erfolgreicher Fantasy-Literatur

Ende kontert. In seinem Buch "Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch" mokiert er sich über "sogenannte Büchernörgele, im Volksmund auch Klugscheißerchen oder Korinthenkackerli genannt", die ihr Dasein damit verbringen, dass "sie an Büchern herumnörgeln". Es sei aber unklar, so der Autor, "wozu es solche Wesen überhaupt gibt".

Die ständigen Anfeindungen gehen nicht spurlos an Ende vorüber. 1970 verlässt er mit seiner ersten Frau Ingeborg Hoffmann, einer Schauspielerin, Deutschland und zieht in die Nähe von Rom. Dort entstehen seine großen Erfolge, der Märchen-Roman "Momo" (1972) und "Die unendliche Geschichte" (1979). Auch mancher Kritiker verneigt sich nun vor Ende. Die Wochenzeitung "Die Zeit" bejubelt seine "Unendliche Geschichte" als eine "gewaltige Collage aus mythischen Bildern".

Der Geschichtenerzähler Ende wird damit neben Autoren wie J.R.R. Tolkien ("Herr der Ringe") zum Wegbereiter einer überaus erfolgreichen Fantasy-Literatur. Mehr als 40 nationale und internationale Auszeichnungen, darunter der Deutsche und der Europäische Jugendbuchpreis und der italienische Kulturpreis, dokumentieren seine Bedeutung für eine Literatur, die mittlerweile den Kinderschuhen entwachsen ist.

Immer wieder Rückschläge

Trotz seiner Erfolge blieb Ende seinem kindlichen Glauben an die heilende Kraft der Fantasie treu. Seinem Vater verdanke er, dass er die Welt als etwas Geheimnisvolles erlebe, hat Ende einmal gesagt. Er sei überzeugt, dass es außerhalb der wahrnehmbaren Welt noch eine andere Welt gebe. Und diese wirke immer wieder in die Wirklichkeit der Menschen hinein.

Doch der Erschaffer beeindruckender Fantasiewelten stieß im richtigen Leben immer wieder auf Widerstände. Die Verfilmung seiner unendlichen Geschichte in der Regie von Wolfgang Petersen aus dem Jahr 1984 kritisierte Michael Ende als ein "gigantisches Melodram aus Kitsch, Kommerz, Plüsch und Plastik". Er zog gegen den Film vor Gericht, vergebens. Sein Steuerberater brachte ihn um sein Vermögen, viele Literaturkritiker ignorierten ihn weiter.

Michael Ende starb am 28. August 1995 an Magenkrebs, wenige Monate vor seinem 66. Geburtstag. Für viele Leser bleibt er "ein radikaler Utopist", "ein Fantast mit unendlichem Tiefgang", wie der evangelische Studentenpfarrer Tilman Schröder posthum befand. Und die Kunsthistorikerin Julia Voss fand in Jim Knopfs Geschichte gar eine Gegenwelt zum Rassenwahn der Nazis. Michael Ende, schrieb Schröder, sei ein großer Humanist gewesen, in dem immer auch ein Stück Jim Knopf, Lukas, Momo und Bastian gelebt habe.

epd