Stolpersteine auf dem deutsch-polnischen Versöhnungsweg
Für viele Polen ist das Bild Symbol für ein ungleiches Kräfteverhältnis: Der massige deutsche Kanzler Helmut Kohl umarmt den eher schmalen polnischen Premier Tadeusz Mazowiecki. Das Foto zeigt den Austausch des christlichen Friedensgrußes vor der Kommunion, den Höhepunkt der Versöhnungsmesse in Kreisau (Krzyzowa), die sich am 12. November zum 20. Mal jährt.
11.11.2009
Von Jens Mattern

"Die Gabe der gegenseitigen Versöhnung ist eine Heldentat", erklärte damals der Oppelner Bischof Alfons Nossol, der die Messe zelebrierte. In einem ökumenischen Gebet baten evangelische und katholische Vertreter um die Annäherung beider Völker. Der künftige Einheitskanzler mit seinem Faible für historische Momente erklärte abschließend: "Wir haben die Geschichte gespürt."

Zu Recht: Das Ereignis stand damals auch unter dem Eindruck des Mauerfalls, der Kanzler hatte am 10. November seinen Polenbesuch unterbrochen und war nach Berlin geeilt, kehrte aber trotz deutsch-deutscher Dramatik zur Messe in Kreisau zurück. Das brachte ihm Anerkennung in Polen ein, die sich 1998 mit der Verleihung der höchsten polnischen Auszeichung, dem "weißen Adler", ausdrückte.

Der Polenbesuch stand unter keinem guten Stern

"Die Versöhnungsgeste wurde zu einem Symbol der Koinzidenz deutscher und polnischer Freiheitsbestrebungen im Umbruchjahr 1989 und zu einem Bild eines neuen Kapitels in der deutsch-polnischen Beziehung auf gemeinsamen Grundwerten", meint heute Dieter Bingen, Leiter des Polen-Instituts in Darmstadt.

Dabei stand Kohls Polenvisite anfangs unter keinem guten Stern. Der Christdemokrat galt östlich der Oder als Vertreter der Vertriebenen, hierin gab es klare Einigkeit zwischen den Kommunisten und dem Solidarnosc-Lager. Tadeusz Mazowiecki, der linkskatholische Versöhner, musste aufpassen, sich durch den deutschen Gast nicht innenpolitisch ins Aus zu stellen.

Der Kanzler hingegen schob den Polen-Besuch, zu dem er von seinem liberalen Koalitionspartner gedrängt wurde, immer wieder hinaus. Dann bestand er Ende Oktober darauf, dass die deutsch-polnische Versöhnungsmesse auf dem St. Annaberg stattfand. Die Anhöhe in Oberschlesien ist ein katholischer Wallfahrtsort - Bischof Alfons Nossol, der dort im Juni die erste deutschsprachige Messe hielt, hatte nichts gegen diese Wahl einzuwenden.

Messe am Ort des Hitler-Widerstandes

Gleichzeitig ist der Ort jedoch ein "Pilgerziel" deutscher wie polnischer Patrioten, dort kämpften 1921 deutsche Freikorps gegen polnische Aufständische um die Vormacht in Schlesien. Die einflussreiche Zeitung "Trybuna Ludu" protestierte daraufhin heftig. Der polnische Regierungsbeauftragte Mieczyslaw Pszon erklärte rasch, er habe sein Einverständnis zum St. Annaberg nicht erteilt.

Schließlich einigte man sich auf eine Freiluftmesse auf dem ehemaligen Gutshof Kreisau. Dies ging auch auf eine Anregung des früheren polnischen Außenministers Wladyslaw Bartoszewski zurück. Im damaligen Kreisau traf sich der deutsche Widerstand gegen Hitler - damit klang in Polen ein anderer Aspekt der deutschen Geschichte an.

Kohls Besuch folgten damals gemischte Reaktionen: Kritik von polnischer Seite löste ein Transparent der deutschen Minderheit aus, auf dem es hieß: "Helmut, Du bist auch unser Kanzler". Kohl habe sich während seines Besuchs zur Grenzfrage und der Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter nicht geäußert, bemängelte die Warschauer Presse.

Erinnerung zum Jahrestag

Doch der deutsche Gast hatte auch Aufbaugelder für das Land mit der neuen Demokratie mit im Gepäck. Kohl und Mazowiecki beschlossen damals, Kreisau sollte in eine Jugend-Begegnungstätte verwandelt werden, die Gründung eines Jugendwerks nach deutsch-französischem Vorbild wurde vereinbart. Inzwischen kommen Tausende von jungen Menschen aus beiden Ländern jährlich zusammen, ein Beleg für eine Annäherung der beiden Völker.

Am 12. November soll eine Erinnerungsmesse zelebriert werden. Der weiterhin umtriebige Tadeusz Mazowiecki wird anwesend sein, auch der in diesem Jahr in den Ruhestand gewechselte katholische Bischof Alfons Nossol. Die Umarmungsgeste lässt sich allerdings nicht wiederholen: Altkanzler Kohl, der zurzeit im Rollstuhl sitzt, habe seine Abwesenheit aus gesundheitlichen Gründen sehr bedauert, hieß es aus Kreisau.

epd