Merkel hob die Rolle der DDR-Bürgerrechtler und der Kirchen beim Ende der DDR hervor. Bundestagspräsident Norbert Lammert würdigte die Verdienste der Protestbewegungen in den östlichen Nachbarländern.
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Zehntausende Menschen aus der ganzen Welt strömten bereits am Wochenende an die einstige Trennlinie zwischen Ost und West. Am Montag werden hunderttausende Gäste erwartet. Etwa 3.000 Journalisten aus aller Welt wollen berichten. Am 9. November erinnert Deutschland aber auch an die Pogromnacht von 1938 und die Verfolgung jüdischer Bürger durch die Nationalsozialisten.
Kirchen "mutige Begleiter" der Wende
Die Kanzlerin forderte alle Deutschen auf, auch in Zukunft mutig zu sein. "Mut haben die Bürger gehabt, als sie gegen die kommunistische Diktatur aufbegehrt haben", sagte sie am Sonntagabend bei der Eröffnung das deutsch-deutschen Museums Villa Schöningen an der Glienicker Brücke. "Das was wir erlebt haben, sollte Grund für uns sein, weiter mutig zu sein." Die Brücke zwischen Berlin und Potsdam war zu Zeiten des Kalten Krieges Schauplatz für den Austausch von Ost- und West-Agenten. "Die Brücke trennte, sie einte, sie ist ein Symbol deutsch-deutscher Geschichte", sagte Merkel.
In ihrer wöchentlichen Internet-Botschaft hatte die Kanzlerin die Rolle der Kirchen als "mutige Begleiter in der Phase der Montagsdemonstrationen und Friedensgebete" hervorgehoben. Am Montag will sie mit Vertretern dieser Gruppen und Zeitzeugen über die Brücke der Bornholmer Straße gehen, wo damals die DDR-Bürger zuerst in den Westteil Berlins drängten.
Gleichzeitig sieht Merkel die deutsche Einheit noch nicht vollendet. Die strukturellen Unterschiede zwischen Ost und West müssten abgebaut werden, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, sagte Merkel am Montag im ARD-"Morgenmagazin". Die Regierungschefin warnte davor, "Bedürfnisse der Erneuerung" in Westdeutschland gegen Investitionen im Osten auszuspielen.
"Die Allermeisten anständig"
Merkel stellte im Rückblick die fehlenden Bürgerrechte in der DDR heraus: Die DDR sei auf Unrecht gegründet worden. "Sie ist nicht aus freien Wahlen entstanden, sie hatte keine Meinungsfreiheit, sie hatte keine Religionsfreiheit", betonte sie. Ungeachtet dessen habe es das persönliche Leben von 16 Millionen Menschen gegeben, das sich dadurch ausgezeichnet habe, "dass die allermeisten anständig waren". Sie hätten versucht, unter widrigen Lebensbedingungen gute Freunde zu sein. "Menschliches Leben ist immer viel mehr als nur staatliches Leben," sagte Merkel.
Zusammen mit Bundespräsident Horst Köhler besuchte Merkel am Montagmorgen einen ökumenischen Gottesdienst in der Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg. Die Kirche gilt als ein Zentrum der friedlichen Revolution von 1989 in der DDR. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, erinnerte beim Gottesdienst an die großen Demonstrationen von 1989. "Letztlich machte der Ruf der Massen nach Freiheit dem DDR-Staat ein Ende", sagte Zollitsch. Der Berliner Bischof Wolfgang Huber warnte vor dem Vergessen. "Wachsam sind wir auch, wenn dem Unrecht des SED- Staats der Mantel der Verharmlosung umgehängt wird", sagte er. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) besuchte am Vormittag eine Gedenkfeier an der Bernauer Straße.
Bundestagspräsident Lammert dankte bei einem festlichen Empfang im Paul-Löbe-Haus des Parlaments den europäischen Bürgerrechtlern, die die Wiedervereinigung Deutschlands und Europas in Gang gebracht hätten. Der heutige Präsident des europäischen Parlaments, Jerzy Buzek, erinnerte in seiner Rede an die Verdienste seiner Landsleute: "Begonnen hat alles vor der Danziger Werft, geendet hat es vor dem Brandenburger Tor", sagte Busek, der sich in den 1980er Jahren in der Gewerkschaft Solidarnosc engagiert hatte, die maßgeblichen Anteil am Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Europa hatte. "Die Menschen östlich des Eisernen Vorhangs hatten nur ihre große Herzen gegen die Panzer, aber sie siegten", fügte er hinzu.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wurde am Sonntagabend - stellvertretend für die Bewohner der ehemals geteilten Stadt - mit dem Freiheitspreis des Atlantic Council ausgezeichnet. Der Atlantic Council (Atlantikrat) gehört zu den führenden Denkfabriken in Washington. Weitere "Freedom Awards" in Erinnerung an den Fall der Mauer gingen an das deutsche, das amerikanische, das polnische, das tschechische und slowakische Volk sowie an die NATO- Truppen.
Die Mauer fällt ein zweites Mal
Höhepunkt des Mauerfall-Jubiläums ist an diesem Montag ein Fest der Freiheit in Berlin. Staats- und Regierungschefs aller EU- Mitgliedsstaaten sowie US-Außenministerin Hillary Clinton und der russische Präsident Dmitri Medwedew werden dazu in der Hauptstadt erwartet. Zwischen Reichstagsgebäude, Brandenburger Tor und Potsdamer Platz stehen rund 1.000 bemalte Dominosteine, die den Verlauf der Berliner Mauer markieren. Auf einer Strecke von rund anderthalb Kilometern sollen sie während der Feierlichkeiten umfallen. Den ersten Stein beim "Fest der Freiheit" soll Lech Walesa umstoßen, Friedensnobelpreisträger und polnischer Ex-Präsident.
An vielen anderen Orten gedenken die Menschen ebenfalls des Mauerfalls vor 20 Jahren. Auf der Pariser Place de la Concorde werden am Montagabend Tausende zu einer Licht- und Tonschau erwartet, die per Live-Schaltung mit dem Festakt in Berlin verknüpft wird. In London ziehen Künstler vor der Deutschen Botschaft eine 3,5 Meter hohe Eis-Mauer auf, die im Laufe des Montags nach und nach schmelzen soll. Auch in Belgrad, Warschau und Madrid sind symbolische Mauer- Aktionen geplant.
Die deutsche Einheit ist nach Merkels Ansicht bei der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse noch nicht vollendet. "Wir sollten auch die Bedürfnisse der Erneuerung in den alten Bundesländern nicht gegen das, was in den neuen Bundesländern passiert, ausspielen", sagte die Kanzlerin in einem Interview mit dem ARD-Morgenmagazin (Montag).
Die Kanzlerin sprach sich mit Nachdruck gegen einen Schlussstrich unter die DDR-Geschichte aus. "Einen Schlussstrich ziehen zu wollen heißt, etwas verdrängen zu wollen", sagte sie der "Leipziger Volkszeitung" (Samstag). "Erstens funktioniert das nie, und zweitens bin ich der Überzeugung, dass wir die Erinnerung an das Geschehene wach halten müssen, um die Zukunft zu gestalten", sagte Merkel. "Das sind wir außerdem den vielen Opfern des SED-Regimes und auch kommenden Generationen schuldig."