General Motors und Opel: Einer trage des anderen Last
Die Warnstreiks in den Opelwerken und die sich allenthalben breitmachende Empörung und Wut über das Verhalten der Manager von General Motors (GM) haben eine prompte Gegenreaktion ausgelöst: GM droht mit der Insolvenz, wenn mit Opel keine Einigung über die Restrukturierung erzielt werden könne. Auch unsere Politiker sind empört. Selbst GM-Europa-Chef Forster ist kalt erwischt worden und hat die Entscheidung ungewöhnlich offen kritisiert – jetzt scheint es klar zu sein, dass er den Konzern verlässt. Das Management nach Gutsherrenart feiert im Fall Opel offenbar seine Renaissance.
06.11.2009
Von Walter Bock

Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht können wir es uns leicht machen und das berechtigte Urteil sprechen: So wie GM verhält sich heute kein Unternehmen mehr, das am Markt erfolgreich sein will!

Jedes Unternehmen weiß heute, dass es in sich schnell verändernden Märkten auf die Kreativität, Motivation und Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeiter angewiesen ist, wenn es den notwendigen Profit erwirtschaften will, wenn es gegenüber konkurrierenden Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil haben will. Was wir in den letzten Tagen gesehen haben, ist das Unvermögen eines Managements, dieser Tatsache Rechnung zu tragen – und die klassische Art, wie Vertrauen und Motivation effizient vernichtet werden können. Offenbar glauben die GM-Manager an etwas anderes. Die spannende Frage ist also: Was denken die eigentlich?

Verstehen, was wirklich passiert

Es geht nicht darum, Fakten und Emotionen für Urteile zu sammeln, sondern darum zu verstehen, was in dieser Wirtschafts- und Finanzkrise wirklich abläuft. Denn was wir bei GM und Opel sehen, ist nur ein Stück eines größeren Puzzles. Offenbar scheint aber die Frage nach den grundlegenden Denkmustern und Strukturen, die diese Krise erzeugt haben, auf wenig Interesse zu stoßen – nvorstellbar eigentlich, oder? Doch dies ist offensichtlich, was wir von Verantwortlichen erwarten dürfen, ob sie nun in Leitungsfunktionen in Unternehmen sitzen oder als Politiker Verantwortung tragen.

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Erinnern Sie sich an die Paulus-Briefe? „Einer trage des Anderen Last...“ (Gal 6,2). In Konzernspitzen ist diese Botschaft offensichtlich noch nicht angekommen. Warum sonst haben wir es mit der offensichtlichen Unfähigkeit mancher Konzernchefs zu tun, existentiell wichtige Fragen ihrer Untergebenen mit in ihr eigenes Verhalten einzubeziehen und in ihrer Kommunikation zu berücksichtigen? Wenn wir die Fragen, die diese Krise aufwirft, also beantworten wollen, ist es notwendig zu verstehen, welches Denken, welche Glaubenssätze in die Köpfen der verantwortlichen Manager und Politiker diese Krise ausgelöst haben und auch weiter am Kochen halten. Dabei ist es notwendig, über das – verständliche – Aburteilen der Verantwortlichen bei GM hinaus zu gehen und die vorherrschenden Denkweisen als „Last“ dieser Verantwortlichen zu sehen, was vielleicht nicht so einfach ist.

Wäre der Magna-Deal wirklich besser gewesen?

Zunächst müssen zwei Dinge voneinander getrennt werden. Da ist zum einen die Frage, wo Opel eine bessere Überlebenschance hat: Magna, GM oder die Eigenständigkeit. Zum anderen ist da die Frage nach dem Verhalten der GM-Manager und der beteiligten Politiker, das ja in irgendwelchen Überzeugungen verwurzelt sein muss.

Ob die Hochzeit mit Magna zu einem nachhaltigen Erfolg und Überleben von Opel geführt hätte, wissen wir nicht. Die Ehrlichkeit gebietet hier deutlich zu machen, dass wir seit langer Zeit wissen, dass es schon in Europa mindestens einen Automobilhersteller zu viel gibt. Die Überkapazitäten sind da und die Hoffnung der Konzerne, dass es einen selbst nicht treffen möge, ist trügerisch. Kein Käufer würde es bemerken, wenn eine der großen Marken in Europa von der Bildfläche verschwinden würde – es gibt genügend Kapazitäten in der Automobilindustrie!

Hätte es aber GM insgesamt getroffen, wären die Auswirkungen auf den Binnenmarkt und die Beschäftigung in den USA verheerend gewesen. Die USA haben deshalb mehr als 19 Milliarden Dollar als Rettungsanker in den GM-Konzern gepumpt. US-Präsident Barack Obama hat selbst mit dafür gesorgt, dass mit Ed Whitacre ein neuer starker Mann im Aufsichtsrat von GM das Sagen hat.

Ein Bulldozer, der auf Zeit spielt

Whitacre, der 2006 noch für seinen Vorsitz bei AT&T als „CEO of the Year“ ausgezeichnet wurde, ist wohl auch verantwortlich für die Entscheidung von General Motors, selbst drei Milliarden Euro in die Hand zu nehmen, um Opel zu sanieren. De Mentalität Whitacres wurde in verschiedenen Medien als einem Bulldozer ähnlich beschrieben. Man kann sicher sein, dass Barack Obama wusste, was die Ernennung von Witacre für Folgen haben würde. Die prinzipielle Offenheit der deutschen Politik, sich mit jedem Investor "ins Bett zu legen", der die deutschen Standorte einigermaßen verschont, kann man aus Sicht von GM außerdem getrost als Einladung betrachten, Opel doch zu behalten.

GM spielte in den Verhandlungen fraglos auf Zeit und ist nach seiner „erfolgreichen“ Insolvenz und den neusten Absatzzahlen mit einem wachsenden Selbstbewusstsein ausgestattet, das zusätzlich zu der Entscheidung beigetragen hat, Opel nicht zu verkaufen. So verkündet GM-Vorstandschef Fritz Henderson denn auch in einem Interview trocken: „Wir brauchen Opel.“ Dabei verwies er auf den für GM notwendigen Marktzugang in Europa und Opels Expertise im Kleinwagenbau und bei modernen Motoren mit geringem Kraftstoffverbrauch. Henderson ist nicht allein. Beispielsweise denkt auch der Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft an der Wirtschaftshochschule Geislingen, Professor Willi Diez, dass der Verbleib von Opel bei GM besser für Opel sei als die Magna-Lösung.

Was glauben die eigentlich?

Es ist also durchaus offen und wird sich erst im kommenden Jahr – oder sogar Jahren – zeigen, wie die Entwicklung weiter geht. Aus der Sicht eines um sein globales Überleben kämpfendes Unternehmen ist die Entscheidung GMs, Opel nicht zu verkaufen, durchaus logisch. Sie befindet sich allerdings im Konflikt mit dem genau so berechtigten Überlebenswunsch der Opelaner. Die Art und Weise, wie GM diesen Konflikt betreibt, ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht allerdings katastrophal und eine schwere Bürde für die Opel-Mitarbeiter, für die es um ihre Existenz geht.

Was also hat die amerikanischen Manager dazu bewogen, ihre wiedergefundene Macht so dreist auszuspielen, ohne wenigstens in ihrer Kommunikation für einen Umschwung der Meinung zu werben? Ist das typisch für die US-Management-Mentalität? Nein. Es hat mit den immer noch vorherrschenden Denkweisen zu tun, die überall verbreitet sind. Auch europäische Automobilhersteller lassen Meinungsforscher Umfragen machen, was die Mitarbeiter von ihrer Firma halten, statt mit ihnen in einen echten Dialog zu treten. Auch deutsche Automobilkonzerne setzen Zulieferer unter Druck, um die Einkaufspreise zu drücken, statt sich mit ihnen auf gleicher Augenhöhe zusammenzusetzen und deren Expertise zu nutzen.

Der Mensch nur als Maschine?

Henry Ford wird folgender Satz zugeschrieben: "Ich will nur ein paar flinke Hände haben – und muss doch mit den Menschen klarkommen die an diesen Händen hängen." Der Mensch wurde in der Taylorschen Denkweise des "Scientific Management" auf einen Produktionsfaktor reduziert. Taylor kam zu dem Schluss, dass Firmenabläufe als ein Machtkampf zwischen Arbeitern und Management aufgefasst werden könnten und dass dieser Kampf von den Arbeitern gewonnen würde, solange nur sie die Arbeit kennen und beherrschen. Also suchte Taylor nach den Prinzipien, die den immer noch in vielen Unternehmen pathologisch vorhandene Kommando- und Kontrollstrukturen entsprechen und die letztlich nur Ausdruck dessen sind, was in den Köpfen der Verantwortlichen dort vorgeht.

Es geht um Glaubenssätze in unserem Denken. Es geht um unsere Annahmen, wie die Welt funktioniert, und die dahinter liegenden Denkprozesse. Der englische Nobelpreisträger und Physiker Bohm bezeichnete einen Glaubenssatz als "einen Denkprozess, der von sich selbst behauptet, er sei nicht da". Wir alle richten unsere Strategien, mit der Welt umzugehen, nach unseren Annahmen aus, wie diese Welt funktioniert. Die Glaubenssätze, die in der "GM-Welt“ manifest sind und die Strategie des dort herrschenden Führungsstils prägen, finden sich genau so in den Köpfen der Banker, die uns die Finanzkrise beschert haben – und sie sind vollkommen überholt.

Ethisches Handeln zahlt sich aus

Doch auch Manager können umdenken. Jack Welch, dessen Vorgehensweise ihm den Spitznamen „Neutronen-Jack“ eingebracht hat und der lange Jahre Chef von General Electric war, ist auch einer der Väter der Idee des "Shareholder-Value", die ebenfalls in die Kategorie überkommener Glaubenssätze gehört. Erst in diesem Jahr distanzierte Welch sich von seinem eigenen Denken: "Genau betrachtet ist Shareholder-Value die blödeste Idee der Welt. Shareholder-Value ist ein Ergebnis, keine Strategie; die wichtigsten Interessensgruppen sind die eigenen Mitarbeiter, die eigenen Kunden und die eigenen Produkte."

Interessant ist auch die Tatsache, auf die ein deutscher Automobilzulieferer eher zufällig stieß. Bei der Untersuchung der Frage, wer in den letzten Jahren mehr Produktivität erwirtschaftet hatte und welche Kunden die höchsten Preisreduktionen bekommen hatten, wurde folgendes offenbar: Kooperatives Verhalten, das von grundlegender Ethik geprägt ist und die Suche nach Lösungen in den Mittelpunkt stellt, die den Anliegen beider Seiten gerecht werden, zahlt sich mehr aus als harte Verhandlungsstrategien. Das allerdings ist ein Verhalten, dass eine Denkweise voraussetzt, die den GM-Managern offenbar fremd ist.

Verantwortung aus christlicher Ethik heraus

Noch fremder dürfte den GM-Chefs und anderen Managern eine Geschichte sein, die sich unlängst in Köln zugetragen hat und ein Beispiel dafür ist, dass andere Glaubenssätze auch andere Ergebnisse hervorrufen. Der Geschäftsführer einer Kölner IT-Firma sollte aufgrund eines Vorstandsbeschlusses wegen der Wirtschaftskrise mehr als 30 Leute entlassen. Durch sein Verhandlungsgeschick gelang es ihm aber, alle betroffenen Personen in eine andere Firma zu überführen und deren Leistungen über einen Kooperationsvertrag auftragsbezogen "zurückzukaufen". Dies gelang ihm, obwohl der Aufsichtsrat ihn aufgefordert hatte, die 30 Mitarbeiter zu entlassen. Er tat es, weil es betriebswirtschaftlich sinnvoll war – und aus seiner Verantwortung des Betroffenen gegenüber.

Diese Verantwortung wurzelt in seiner christlichen Ethik. In einem Meeting der Führungskräfte offenbarte er, dass er in den letzten Wochen viel gebetet habe, um zu einer für die Mitarbeiter und die Firma guten Lösung zu kommen. Diese Aussage wurde zunächst mit ein wenig peinlichem Schweigen quittiert. Dies führt zu einem einfachen, aber gültigen Schluss: Wirtschaftliches Handeln, das in Werten und ethischen Grundsätzen verwurzelt ist, zahlt sich – auch monetär – für alle Beteiligten aus.

GM könnte ein neues Denken gut gebrauchen

Man würde den GM-Verantwortlichen wünschen, dass sie ihr eigenes Ringen um die anstehenden Veränderungen auch mit einem neuen Denken angehen. Sie könnten es dringend gebrauchen. Denn ihre Mitarbeiter beurteilen in den aktuellen Veränderungsprozessen nicht die Tatsache, dass sich etwas ändern muss, sondern die Art und Weise, wie das getan wird. So begründet sich der Widerstand der Opelaner und die Empörung über die Vorgehensweise von GM sicher nicht einmal in der Tatsache, dass GM Opel nun selbst sanieren will, sondern in der Art und Weise, wie die Verantwortlichen vorgehen.

Dies ist es, was Vertrauen und Engagement zerstört. Wenn es GM Ernst damit ist, eine Zukunft in Deutschland und Europa zu haben, ist dies genau der Punkt, an dem die Verantwortlichen ansetzen müssen. Das zukünftige Verhalten der GM-Manager und ihre Fähigkeit, ihre eigenen offenbar gewordenen Glaubenssätze zu hinterfragen und zu verändern, wird ausschlaggebend für einen nachhaltigen Erfolg sein. "Einer trage des anderen Last..."


Walter Bock ist selbstständiger Unternehmensberater und Trainer für Führungskräfte. Er beschäftigt sich auch mit "Leadership" und ethischer, verantwortungsvoller Firmenleitung.