Letzte Ausfahrt Campingplatz: Leben im Wohnwagen
Wenn Horst Triebisch um 5.30 Uhr aufsteht, führt ihn sein erster Gang im Jogginganzug und mit Plastiksandalen zum Sanitärhaus des Campingplatzes. Dort duscht er und macht sich für die Arbeit fertig. Triebisch ist 44. Schon seit vier Jahren wohnt er in einem Wohnwagen in Abtsgmünd am Rande der Schwäbischen Alb.
05.11.2009
Von Susanne Rytina

Die meisten Deutschen kennen das nur aus dem Fernsehen: Nach Ausbruch der Wirtschaftskrise in den USA verloren viele Menschen ihr Haus und leben seitdem an den Rändern der amerikanischen Großstädte in sogenannten Trailer-Camps.

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"Ich bin auf keinen grünen Zweig mehr gekommen", sagt Triebisch. Dabei arbeitet er von früh bis spät im Versand eines Zeltbauunternehmens, wo er bis zu 80 Kilogramm schwere Zeltplanen verpackt. Abends hilft der gelernte Metzger noch in der Küche einer Wirtschaft aus. Doch sein Gehalt reichte nach der Scheidung hinten und vorne nicht.

Eine günstige kleine Wohnung habe er nicht gefunden, erzählt er: Mehr als 500 Euro zahlte er für zwei Zimmer, 52 Quadratmeter. Und das bei nur 1100 Euro netto. Davon gingen 350 Euro für den Unterhalt seiner vier Kinder ab, 100 Euro für das Abstottern eines Kredits und auch noch Kosten für teure Medikamente, die er gegen Morbus Crohn, das Reizdarmsyndrom, einnimmt. "Wieder heim zu den Eltern ziehen, das wollte ich nicht", sagt Triebisch.

Wohngeld gibt's nicht, dafür verdient er zu viel

"Working Poor" nennen Sozialwissenschaftler Menschen, die arbeiten und doch an der Armutsschwelle sind. Wie viele es sind, weiß keiner so genau. Mittlerweile leben 6,4 Millionen Erwachsene und Kinder in Deutschland von Hartz IV. Eng wird es auch für 3,2 Millionen Frauen und Männer, die arbeitslos sind und für etwa 1,5 Millionen, die sich in Kurzarbeit befinden. Rund 6,9 Millionen Menschen in Deutschland sind überschuldet, schätzt die Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände. Wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise werde voraussichtlich die Zahl der überschuldeten Haushalte aufgrund Entlassungen, Kurzarbeit und Niedriglöhnen noch mehr steigen.

Menschen wie Horst Triebisch tauchen in keiner amtlichen Statistik auf. Zweimal hat der Schwabe einen Antrag auf Wohngeld gestellt. "Ich bekomme nichts, weil ich angeblich zu viel verdiene." In Deutschland gilt man als relativ arm, wenn man weniger als 846 Euro im Monat zur Verfügung hat, weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens.

"Wenn die Politik jetzt nicht eingreift und gegensteuert, droht in Ballungszentren und Wachstumsregionen eine neue Wohnungsnot", warnte der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Franz-Georg Rips, bereits im Frühherbst. In einzelnen Landesverbänden des Mieterbunds registriert man derweil schon zunehmend Räumungsklagen, wie Udo Casper vom Mieterbund Baden-Württemberg mitteilt: "Preiswerter Wohnraum ist in Städten wie Stuttgart so gut wie nicht zu bekommen."

"Vom Staat erwarte ich nichts mehr"

Letzter Ausweg Campingplatz: Horst Triebisch zahlt jetzt nur noch 1.000 Euro Platzmiete im Jahr, inklusive 200 Euro für Nebenkosten. Ihm bleiben jetzt noch 300 Euro im Monat übrig zum Leben. Auf die Idee, in den Wohnwagen zu ziehen, hatte ihn sein Chef gebracht: Er lieh dem fleißigen Mitarbeiter 3.000 Euro, damit er den gebrauchten Wagen samt Vorzelt kaufen konnte.

"Ohne meinen Chef hätte ich nicht gewusst, wie es weitergeht", sagt Triebisch. Manchmal gewinnt er seiner Wohnsituation auch Vorteile ab: "Alles so grün und so friedlich hier." Bald wird er seine Blumenkästen mit den abgeblühten Geranien abräumen. Das mit Holz verkleidete Vorzelt nutzt er als Wohnzimmer. Bilder von seinen Kindern hängen an der Wand, kleine Gummistiefel stehen in der Ecke, auch eine kleine Campingküche samt Kühlschrank.

"Am Anfang habe ich mich geschämt", sagt er. "Ob ich wieder in eine Wohnung ziehen werde, kann ich noch nicht sagen - aber vom Staat will ich nichts mehr und erwarte ich auch nichts mehr."

dpa