Kirchen kritisieren Straßburger Richterspruch zu Schulkreuzen
Ökumenischer Protest: Die beiden großen Kirchen lehnen das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes gegen Kruzifixe in öffentlichen Schulen scharf ab.

Der Präsident des Päpstlichen Einheitsrats, Kardinal Walter Kasper, bezeichnete den Richterspruch am Mittwoch als "radikal antieuropäisch". Er forderte in der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" christliche Politiker auf, ihre Stimme gegen das Straßburger Urteil zu erheben. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone sagte, das Europa des 3. Jahrtausends "nimmt uns die wertvollsten Symbole weg und lässt uns nur noch die Kürbisse des Halloweenfestes".

Der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hans Michael Heinig, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), der Straßburger Gerichtshof hätte gut daran getan, sich zurückzunehmen und dem Einschätzungsspielraum der Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention Geltung zu verschaffen. Das Kreuz sei zu allererst ein religiöses Symbol. Die Kirche fahre nicht gut damit, ihr zentrales Symbol zu einem allgemeinen Kulturgut zu entkräften. Es sei nicht Sache der Gerichte, den Bedeutungsgehalt religöser Symbole wegweisend zu klären.

Staaten haben Bestimmungsrecht

Das Bestimmungsrecht über die religiösen Bezüge in der Schule liege bei den Staaten, die die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben, unterstrich Heinig. Dabei hätten sie natürlich die Religionsfreiheit zu achten. Die Unterzeichnerstaaten könnten ihr Staatskirchenrecht unterschiedlich gestalten, sagte Heinig weiter. Deshalb hätte der Menschenrechtsgerichtshof gut daran getan, dem Einschätzungsspielraum der Staaten Geltung zu verschaffen.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz bezeichnete das Urteil als "große Enttäuschung". Das Urteil sei einseitig, weil das Kreuz nicht nur ein religiöses Symbol sondern auch ein kulturelles Zeichen sei, erklärte der Sekretär der Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer. "Das Urteil will zwar der Religionsfreiheit dienen. Es geht aber an der Lage in Italien vorbei und ignoriert die tatsächliche Bedeutung des Kreuzes in der Gesellschaft."

"Keine Auswirkungen auf Deutschland"

Langendörfer zufolge betrifft die Entscheidung des Gerichtshofs die Rechtslage in Italien und hat keine Auswirkungen auf die Bundesrepublik. Für Deutschland hatte das Bundesverfassungsgericht 1995 zum Kruzifix Stellung genommen. In Deutschland habe der bayerische Landesgesetzgeber mit der so genannten Widerspruchslösung einen Weg aufgezeigt, wie in Einzelfällen ein schonender Ausgleich zwischen den widerstreitenden Rechtspositionen gefunden werden kann, hieß es weiter.

Dagegen begrüßte der religionskritische Humanistische Verband das Urteil und erwartet dessen Umsetzung auch in Deutschland. "Wir erwarten, dass nicht nur in Deutschland, sondern europaweit die Religionsfreiheit und hier insbesondere das Recht, nicht (an den christlichen Gott oder jeden anderen) zu glauben nunmehr zumindest in dem hier entschiedenen Schulbereich konsequent umgesetzt wird", erklärte Verbandspräsident Horst Groschopp in Berlin.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hatte am Dienstag entschieden, dass die Kruzifixe in staatlichen Schulen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Damit werde das Recht von Eltern verletzt, ihre Kinder gemäß ihren eigenen Überzeugungen zu erziehen. Zudem könnten die Kreuze in den Klassenzimmern auf atheistische oder andersgläubige Schüler verstörend wirken, so die Straßburger Richter. Sie verurteilten den italienischen Staat zu 5.000 Euro Schadenersatz an die Klägerin, die eine "säkulare" Erziehung für ihre beiden schulpflichtigen Kinder verlangt hatte.

epd/dpa