Wie die Amerikaner, die gerade ein Insolvenzverfahren hinter sich gebracht haben und seither am Tropf der US-Regierung hängen, den seit langem stotternden Motor bei Opel wieder auf Touren bringen wollen, ist unklar: Der Autobauer schwimmt nicht gerade im Geld. Er hofft nun auf Staatshilfen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern.
Merkel in Erklärungsnot
Soviel scheint sicher: Europas Opelaner müssen sich auf heftige Einschnitte gefasst machen. Sie fürchten einen radikalen Kahlschlag mit Werkschließungen und Entlassungen. Der Betriebsrat hat für Donnerstag bereits zu Warnstreiks in allen vier deutschen Werken aufgerufen. Von dort sollen sie sich auf ganz Europa ausweiten, sagte Betriebsratschef Klaus Franz am Mittwochmorgen. Eine Unterstützung der Sanierung unter dem Dach von GM lehnt der Betriebsrat komplett ab. Bei einem Einstieg Magnas hätten die mehr als 50.000 Beschäftigten hingegen in den kommenden Jahren auf jährlich 265 Millionen Euro verzichtet.
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GM brüskiert nicht nur die Opelaner und den Zuliefer-Riesen Magna, den der Autobauer noch im September zum Käufer gekürt hatte. Viel mehr noch ist die deutsche Bundesregierung nun in Erklärungsnot. Monatelang hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich für Magna stark gemacht. Nun vollzieht GM ausgerechnet am Tag ihrer Rede vor dem US-Kongress in Washington eine 180-Grad-Wende. Als die Bombe in der Nacht zum Mittwoch platzte, saß die Kanzlerin gerade im Flugzeug auf dem Rückflug von Washington.
Industriepfarrer sieht schwarz
Der Rüsselsheimer Industriepfarrer Volkhard Guth sieht schwarz für die Opel-Belegschaft. Die Entscheidung des GM-Verwaltungsrates, die europäischen Autowerke nun doch nicht zu verkaufen, sei eine "Katastrophe", sagte Guth. Er erwarte nun von den Kirchen ein "deutliches Wort" für die Beschäftigten und ihre Familien.
"Es ist jetzt ganz schwer. Die Menschen sind wütend, niedergeschlagen, resigniert", sagte Guth, der nach der Entscheidung aus Detroit das Rüsselheimer Opel-Werk besuchte, um seine Unterstützung zu signalisieren. Nach den Erfahrungen, die sie in den vergangenen Jahren mit den GM-Managern in Detroit gemacht hätten, rechneten die Beschäftigten nun mit Werksschließungen und einem dramatischen Stellenabbau in Europa. "Der Standort Rüsselsheim mit seinen 17.000 Beschäftigten wird vielleicht noch am besten davonkommen", denn hier sei die Produktion topmodern.
Die Menschen in der Region - vom Hilfsarbeiter bis zum leitenden Manager - fühlten sich vom GM-Vorstand entmündigt, sagte Guth weiter. Monatelange Verhandlungen mit dem österreichisch-kanadischen Autozulieferer Magna und der russischen Sberbank seien möglicherweise mit einem Schlag zur Makulatur gemacht worden.
"Chance verspielt"
Das jüngste Angebot der Opelaner an die beiden übernahmewilligen Unternehmen, gegen eine Beteiligung von zehn Prozent an dem Unternehmen bis 2011 jedes Jahr auf 265 Millionen Euro Lohn zu verzichten, sei gesellschaftspolitisch ein Fortschritt gewesen. "Diese Chance ist nun verspielt", bedauerte Guth.
Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises in Bochum, Fred Sobiech, sagte, er bedauere, dass nach allen Gesprächsrunden, Beratungen und Verhandlungen nun alles vom Tisch sei. Er verstehe die Verunsicherung der Belegschaft und hoffe, dass sich die Betriebsräte der verschiedenen Werke in ganz Europa nun gemeinsam und abgestimmt für die Zukunft aller Beschäftigten einsetzen werden, ohne sich gegenseitig auszustechen. Das wäre in der derartigen Lage nicht klug, sagte Sobiech.
Wirtschaftsminister Brüderle schimpft
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) übte ebenfalls scharfew Kritik: "Das Verhalten von General Motors ist völlig inakzeptabel" sowohl den Arbeitnehmern als auch Deutschland gegenüber, sagte er vor der Kabinettssitzung in Berlin. Bei diesem zweiten Treffen der neuen Bundesregierung wird Opel nun auch ein Thema sein.
"Die Entwicklung hat allein General Motors zu verantworten", so Brüderle weiter. Er betonte, die Arbeitnehmer hätten noch kurz vor der Entscheidung ein Signal für einen Lohnverzicht gegeben. Ein solcher Umgang mit Arbeitnehmern wenige Wochen vor Weihnachten sei "in keiner Weise hinnehmbar".
GM hat sich damit einmal mehr als völlig unberechenbarer Partner erwiesen. Schon lange beklagten sich die Opelaner über den Stil der immer weniger beliebten US-Mutter. Sie werfen GM vor, Opel mit Arroganz, falscher Modellpolitik und schlechtem Management überhaupt erst in die Krise geführt zu haben. Und nun wird es für Opel nichts mit der ersehnten Freiheit.
Fortschritte bei der Sanierung
Auch Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sagte nach der Entscheidung: "Angesichts der negativen Erfahrungen der letzten Jahre mit der Unternehmenspolitik von GM mache ich mir große Sorgen um die Zukunft des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze." Er erwarte, dass GM den 1,5 Milliarden Euro schweren Brückenkredit fristgemäß zum 30. November zurückzahle, "damit der deutsche Steuerzahler keinen Schaden nimmt".
Den Stimmungswandel im GM-Verwaltungsrat hatten vor allem die jüngsten Fortschritte bei der Sanierung ausgelöst: "Angesichts des verbesserten Geschäftsumfelds für GM in den vergangenen Monaten und der Bedeutung von Opel/Vauxhall für unsere globale Strategie hat der Verwaltungsrat beschlossen, Opel zu behalten", so der Autobauer. Nun solle ein "ernsthafter Restrukturierungsprozess in Europa" beginnen. Die Kosten bezifferte GM-Chef Fritz Henderson auf drei Milliarden Euro.
Opel sei für einen erfolgreichen GM-Neustart wichtig, meinte die Mehrheit im Verwaltungsrat. Die Deutschen stehen für moderne Technologie und für den großen europäischen Markt. Da wollen die Amerikaner die Kontrolle nicht aus der Hand geben. "Vieles wird jetzt ohne Dritte als Partner einfacher", sagte ein GM-Insider der dpa. Und warnt zugleich: "Die Mammutaufgabe der Restrukturierung ist genauso groß wie vorher."
EU hatte Bedenken
Dass das GM-Gremium sich überhaupt noch einmal mit dem Thema befasste, geht auf den Argwohn der Europäischen Kommission zurück. Sie hatte den Verdacht, Berlins Zusage für Milliardenhilfen habe nur für Magna gegolten und verstoße damit möglicherweise gegen EU-Recht. Die Behörde hatte GM aufgefordert, die Entscheidung zu überdenken und sich dabei ausschließlich an den wirtschaftlichen Perspektiven der Konzepte im vorangegangenen Bieterverfahren zu orientieren.
Wesentlicher Bestandteil des Zukunftskonzepts von Magna war die Eroberung des russischen Marktes mit Unterstützung des Autobauers Gaz. Russland galt noch vor wenigen Monaten als Wachstumsmarkt. Obwohl der Autoabsatz dort zuletzt dramatisch einbrach, will sich GM den Plan zu eigen machen - und dabei direkt mit Gaz zusammenarbeiten.
In dem ganzen Hin und Her haben Opel und GM nicht nur jede Menge Geld verbrannt, sondern nach Ansicht eines hochrangigen Managers vor allem eines verloren - viel Zeit. "Wir füllen zwar seit Monaten jeden Tag die Schlagzeilen, aber im laufenden Geschäft passiert nichts."